Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
den sie hinterließen, war im allgemeinen wenig günstig. Zwischen einer Hure, einer Concierge und einem Minister besteht, was Bilder angeht, kein großer Unterschied im Geschmack. Fillmore fühlte sich sehr erleichtert, als Mark Swift uns regelmäßig mit der Absicht zu besuchen begann, mein Porträt zu malen. Fillmore hielt Swift für ein Genie. Und wenn auch allem, was er in Angriff nahm, etwas Wildes anhaftete, so konnte man doch, wenn er einen Menschen oder einen Gegenstand malte, erkennen, um was es sich handelte.
    Auf Swifts Wunsch hatte ich begonnen, mir einen Bart wachsen zu lassen. Die Form meines Schädels, sagte er, verlange einen Bart. Ich mußte mich mit dem Eiffelturm im Rücken ans Fenster setzen, denn er wollte auch den Eiffelturm auf dem Bild haben. Auch die Schreibmaschine wollte er auf dem Bild. Krüger gewöhnte sich an, zu der Zeit ebenfalls hereinzuschauen. Er behauptete, Swift verstehe nichts von Malerei. Es brachte ihn außer sich, die Dinge ohne Proportion zu sehen. Die Naturgesetze bleiben für alles unbedingt verbindlich. Swift kümmerte sich keinen Pfifferling um die Natur; er wollte malen, was ihm vorschwebte. Jedenfalls stand jetzt Swifts Porträt von mir auf der Staffelei, und obwohl alles ohne Proportionen war, konnte sogar ein Minister erkennen, daß es sich um einen menschlichen Kopf, einen Mann mit einem Bart handelte. Sogar die Concierge fing an, für das Bild großes Interesse zu entwickeln. Sie fand die Ähnlichkeit frappierend. Und ihr gefiel der Gedanke, im Hintergrund den Eiffelturm zu zeigen.
    So gingen die Dinge etwa einen Monat oder länger friedlich weiter. Die Umgegend gefiel mir, besonders nachts, wenn sich ihr ganzer Schmutz und ihre ganze Traurigkeit fühlbar machten. Der kleine, im Dämmerlicht so bezaubernde stille Platz konnte bei Einbruch der Dunkelheit den bedrückendsten, düstersten Charakter annehmen. Da war diese lange, hohe Mauer, die eine Seite der Kaserne verdeckte, gegen die gelehnt immer ein sich verstohlen umarmendes Liebespaar, oft im Regen, zu sehen war. Ein bedrückender Anblick, zwei Liebende unter einem trüben Straßenlicht an eine Gefängnismauer gepreßt, als hätten sie hier ihre letzte Zuflucht gefunden. Was innerhalb der Mauer vor sich ging, war ebenso bedrückend. An Regentagen stand ich am Fenster und betrachtete das Treiben dort unten, als spiele es sich auf einem anderen Planeten ab. Es schien mir unbegreiflich. Alles geschah wie nach einem Stundenplan, aber einem Stundenplan, den ein Verrückter aufgestellt haben mußte. Dort waren sie, stolperten im Dreck umher, Trompeter bliesen, die Pferde stürmten zum Angriff – alles innerhalb der vier Mauern. Ein Scheingefecht. Ein Haufen Zinnsoldaten, die nicht das geringste Interesse hatten, zu lernen, wie man tötet, seine Schuhe blankputzt oder die Pferde striegelt. Das Ganze äußerst lächerlich, aber ein Teil des Systems. Wenn sie nichts zu tun hatten, sahen sie sogar noch lächerlicher aus. Sie kratzten sich, gingen mit den Händen in den Hosentaschen umher, blickten zum Himmel empor. Und wenn ein Offizier daherkam, schlugen sie die Hacken zusammen und salutierten. Ein Narrenhaus, schien mir. Sogar die Pferde sahen dumm aus. Dann wurden manchmal die Geschütze hervorgezogen, und sie ratterten paradierend die Straße herunter, und die Leute starrten und staunten und bewunderten die schönen Uniformen. Für mich sahen sie immer wie ein Armeekorps auf dem Rückzug aus. Es haftete ihnen etwas Fadenscheiniges, Schmutziges, Niedergeschlagenes an, ihre Uniformen waren zu groß für ihre Körper. Die ganze Munterkeit, die sie in so bemerkenswertem Grad als Einzelmenschen ihr eigen nannten, war jetzt dahin. Schien jedoch die Sonne, sahen die Dinge anders aus. Ein Hoffnungsschimmer trat in ihre Augen, sie gingen elastischer, zeigten ein wenig Begeisterung. Dann nahmen die Dinge eine freundliche Färbung an, und die für die Franzosen so charakteristische Geschäftigkeit und Betriebsamkeit setzten ein. In dem bistro an der Ecke plauderten sie heiter bei ihren Gläsern, und die Offiziere schienen menschlicher, französischer, möchte ich sagen. Wenn die Sonne herauskommt, kann jeder Fleck in Paris schön aussehen. Und wenn man ein bistro sieht mit heruntergelassener Markise, ein paar Tischen auf dem Gehsteig und farbigen Getränken in den Gläsern, dann sehen die Leute alle ganz menschlich aus. Und sie sind menschlich – das beste Volk der Welt, wenn die Sonne scheint. So klug, so lässig, so

Weitere Kostenlose Bücher