Wendekreis des Krebses
Überlegung entschied ich, es sei noch billiger, bei ihr zu schlafen, stimmte also zu und schlug vor, gleich zu gehen. Bevor wir jedoch aufbrachen, hielt ich es für das beste, sie wissen zu lassen, wie es um mich stand, damit nicht im letzten Augenblick das dicke Ende nachkam. Ich glaubte, sie fiele in Ohnmacht, als ich ihr sagte, wieviel ich in der Tasche hatte. «So siehst du aus!» sagte sie. Sie war tief beleidigt. Ich dachte, es würde einen Auftritt geben, behauptete jedoch unerschrocken meinen Stand. «Na, dann schön, dann verlasse ich dich», sagte ich ruhig. «Vielleicht habe ich mich geirrt.»
«Das kann man wohl behaupten!» rief sie, hielt mich aber gleichzeitig am Ärmel fest. « Ecoute, chéri, sois raisonnable! » Als ich das hörte, war meine ganze Zuversicht wiederhergestellt. Ich wußte, daß es sich lediglich darum drehen würde, daß ich ihr etwas darüber hinaus versprach, dann war alles in Butter. «Schön», sagte ich, der Sache überdrüssig, «ich werde schon nett zu dir sein, du wirst ja sehen.»
«Du hast mich also angelogen?» sagte sie.
«Ja», lächelte ich, «ich habe einfach gelogen.»
Ich hatte meinen Hut noch nicht aufgesetzt, als sie bereits einem Taxi gewinkt hatte. Ich hörte sie den Boulevard de Clichy als Ziel nennen. Das kommt mich teurer als der Preis für ein Zimmer, dachte ich. Na schön, noch war Zeit, wir würden ja sehen. Ich weiß nicht mehr, wie es anfing, aber bald schwärmte sie mir von Henry Bordeaux vor. (Der Hure müßte ich erst noch begegnen, die nicht Henry Bordeaux kennt!) Aber diese hier war echt begeistert, ihre Sprechweise war jetzt schön, so zärtlich, so scharfsinnig, daß ich überlegte, wieviel ich ihr geben sollte. Es war mir, als habe ich sie sagen hören: – « quand il n’y aura plus de temps .» Es klang jedenfalls so. In dem Zustand, in dem ich mich befand, war eine solche Redewendung hundert Francs wert. Ich fragte mich, ob sie sie selbst erfunden oder von Henry Bordeaux entlehnt hatte. Gleichviel. Typisch Montmartre. ‹Guten Abend, Mutter›, sagte ich zu mir selber. ‹Töchterchen und ich werden für euch sorgen – quand il n’y aura plus de temps !‹ Sie wollte mir auch ihr Diplom zeigen, fiel mir ein.
Sie war in heller Aufregung, nachdem die Tür sich hinter uns geschlossen hatte. Zerstreut. Rang ihre Hände und nahm Sarah-Bernhardt-Posen an, war dabei halb ausgezogen und unterbrach sich zwischendurch, um mich zu ermahnen, rasch zu machen, mich auszuziehen, dies und jenes zu tun. Endlich, als sie sich ganz entkleidet hatte und mit einem Hemd in der Hand herumwirtschaftete, um ihren Kimono zu suchen, ergriff ich sie und knutschte sie tüchtig ab. Sie sah bestürzt aus, als ich sie losließ. «Mein Gott! Mein Gott! Ich muß hinunter und nach meiner Mutter sehen!» rief sie aus. «Du kannst ein Bad nehmen, wenn du willst, chéri . Dort! Ich bin in ein paar Minuten zurück.» An der Tür umarmte ich sie noch einmal. Ich war in Unterhosen und hatte eine gewaltige Erektion. Irgendwie reizten all dieser Ärger und diese Aufregung, all der Kummer und das theatralische Gebaren nur meinen Appetit. Vielleicht ging sie nur hinunter, um ihren maquereau zu beruhigen. Ich hatte ein Gefühl, daß sich etwas Ungewöhnliches abspielte, eine Art Drama, von dem ich in der Morgenzeitung lesen würde. Ich unterzog die Wohnung einer raschen Inspektion. Sie bestand aus zwei Zimmern und einem Bad, war nicht schlecht möbliert. Ganz kokett. Dort an der Wand hing ihr Diplom – ‹Erster Klasse›, wie sie alle lauten. Und dort auf dem Toilettentisch stand die Fotografie eines Kindes, eines kleinen Mädchens mit schönen Locken. Ich drehte das Wasser für ein Bad auf, änderte aber dann meine Absicht. Wenn etwas passieren sollte und man fände mich in der Wanne … Der Gedanke mißfiel mir. Ich ging hin und her und wurde von Minute zu Minute unruhiger.
Als sie zurückkam, war sie sogar noch aufgeregter als vorher. «Sie stirbt … sie wird sterben!» Sie hörte nicht auf zu jammern. Einen Augenblick war ich nahe daran, fortzugehen. Wie, zum Teufel, kann man eine Frau besteigen, wenn drunten ihre Mutter, vielleicht gerade unter einem, stirbt? Ich legte meine Arme um sie, halb mitleidig und halb entschlossen, mir zu nehmen, wozu ich gekommen war. Als wir so dastanden, murmelte sie wie in echter Verzweiflung, wie notwendig sie das Geld brauche, das ich ihr versprochen hatte. Es sei für maman . Scheiße, ich hatte in diesem Augenblick nicht das Herz, um ein
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