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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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schlief fest, schnarchte, doch mahlten dabei seine Kiefer mechanisch weiter. Das Lokal war in hellem Aufruhr. Rufe ertönten: «Alle zusammen!», und dann setzte ein allgemeines Getrommel mit Messern und Gabeln ein. Er öffnete einen Augenblick die Augen, blinzelte benommen, und dann sank sein Kopf wieder auf seine Brust zurück. Ich steckte den Hundertfrancsschein sorgfältig in meine Uhrtasche und zählte das Kleingeld. Der Lärm um mich nahm zu, und es fiel mir schwer, mich zu erinnern, ob ich wirklich ‹Erster Klasse› auf ihrem Diplom gelesen hatte oder nicht. Es beunruhigte mich. Ihre Mutter kümmerte mich keinen Pfifferling. Ich hoffte, daß sie inzwischen abgekratzt war. Es wäre merkwürdig, wenn ihre Geschichte stimmen sollte. Zu schön, um wahr zu sein. Vite, chéri … vite, vite! Und diese andere Halbnärrin mit ihrem ‹mein lieber Herr› und ‹Sie haben ein so gütiges Gesicht›! Ich fragte mich, ob sie wirklich ein Zimmer in dem Hotel genommen hatte, zu dem wir gegangen waren.

D er Sommer ging zu Ende, als Fillmore mich einlud, zu ihm zu kommen und bei ihm zu wohnen. Er hatte eine Atelierwohnung, die Ausblick auf die dicht bei der Place Dupleix gelegene Kavalleriekaserne bot. Wir hatten uns seit dem kleinen Abstecher nach Le Havre häufig gesehen. Wenn es Fillmore nicht gegeben hätte, weiß ich nicht, wo ich heute wäre – höchstwahrscheinlich tot.
    «Ich hätte Sie schon längst früher aufgefordert», sagte er, «wenn nicht dieses kleine Biest Jackie gewesen wäre. Ich wußte nicht, wie ich sie loswerden sollte.» Ich mußte lächeln. So war es immer mit Fillmore. Er schien auf Huren, die keine Bleibe hatten, eine besondere Anziehung auszuüben. Jedenfalls hatte Jackie schließlich aus eigenen Stücken das Feld geräumt.
    Die Regenzeit brach an, die lange, traurige Zeit von Dunst, Nebel und Regengüssen, die einen durchnäßten und elend machten. Ein scheußlicher Ort im Winter, dieses Paris! Ein Klima, das sich einem in die Seele einfrißt, das einen so kahl zurückläßt wie die Küste von Labrador. Ich bemerkte mit einer gewissen Besorgnis, daß die einzige Heizungsmöglichkeit der Wohnung der kleine Ofen im Atelier war. Trotzdem war es noch gemütlich. Und der Blick aus dem Atelierfenster war herrlich.
    Am Morgen pflegte Fillmore mich derb zu rütteln und mir einen Zehnfrancsschein aufs Kopfkissen zu legen. Sobald er gegangen war, machte ich es mir noch einmal für ein Nickerchen bequem. Manchmal blieb ich bis Mittag im Bett. Es gab nichts Dringliches, außer das Buch fertigzuschreiben, und das beunruhigte mich nicht sonderlich, denn ich war bereits überzeugt, daß es sowieso niemand annehmen würde. Trotzdem war Fillmore sehr davon beeindruckt. Wenn er am Abend mit einer Flasche unterm Arm ankam, war das erste, daß er zum Tisch ging und nachsah, wie viele Seiten ich heruntergehauen hatte. Zuerst freute ich mich über diesen Enthusiasmus, aber später, als mir der Stoff ausging, machte es mich verteufelt unsicher, ihn herumwirtschaften und die Seiten suchen zu sehen, von denen er glaubte, daß sie mir wie Wasser aus dem Leitungshahn herauströpfelten. Wenn es nichts vorzuweisen gab, kam ich mir wie eine Hure vor, der er Unterschlupf gewährt hatte. Er pflegte, wie ich mich erinnerte, über Jackie zu sagen: «Es wäre gut und schön gewesen, wenn sie manchmal stillgehalten hätte.» Wäre ich eine Frau gewesen, so hätte ich nur zu gerne stillgehalten: es wäre viel leichter gewesen, als ihn mit den erwarteten Seiten zu füttern. Trotzdem versuchte er alles, damit ich mich bei ihm wohl fühlte. Immer waren reichlich Wein und Essen da, und dann und wann bestand er darauf, daß ich ihn in eine Tanzdiele begleitete. Er ging gerne in eine Nigger-Spelunke in der Rue d’Odessa, wo es eine gutaussehende Mulattin gab, die gelegentlich mit uns heimkam. Ihn ärgerte, daß er keine Französin finden konnte, die gerne trank. Sie waren für seinen Geschmack alle zu nüchtern. Es machte ihm Freude, ein Weib mit ins Atelier zu bringen und sich mit ihr einen anzududeln, ehe man ans Geschäft ging. Es gefiel ihm auch, wenn sie glaubten, er sei ein Künstler. Da der Mann, von dem er das Atelier gemietet hatte, Maler war, fiel es nicht schwer, diesen Eindruck hervorzurufen. Die Bilder, die er im Schrank gefunden hatte, waren bald in der Wohnung aufgehängt, und eines der unfertigen wurde augenfällig auf die Staffelei gestellt. Unglücklicherweise waren es alles surrealistische Bilder und der Eindruck,

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