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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Atmosphäre. Mehr wie in einem Güterbahnhof, überall Frachtbriefe und Gummistempel und bleichgesichtige Angestellte, die mit kratzenden Federn in riesige, gewichtige Hauptbücher kritzelten. Nachdem mir meine Zuteilung an Kohlen und Holz zugewiesen war, marschierten der Bucklige und ich mit einem Schubkarren dem Schlafsaal zu. Ich sollte ein Zimmer im obersten Stockwerk, im gleichen Flügel wie die pions , bekommen. Die Sache nahm einen humoristischen Anstrich an. Ich wußte nicht, auf was, zum Teufel, ich mich als nächstes gefaßt machen mußte. Vielleicht auf einen Spucknapf. Das Ganze schmeckte recht nach einer Vorbereitung zum Kampf, es fehlten nur noch ein Tornister und ein Gewehr – und die Erkennungsmarke.
    Das mir zugewiesene Zimmer war recht geräumig, mit einem kleinen Ofen, der ein gebogenes Rohr hatte, das gerade über dem eisernen Bett ein Knie machte. Eine große Kiste für Holz und Kohlen stand neben der Tür. Die Fenster gewährten einen Blick auf eine Reihe sämtlich aus Stein gebauter, unansehnlicher kleiner Häuser, in denen der Krämer, der Bäcker, der Schuster, der Metzger usw. wohnten – alles recht dümmlich aussehende Bauernlümmel. Ich blickte über die Dächer nach den kahlen Hügeln, wo ein Zug vorbeiratterte. Das Pfeifen der Lokomotive schrillte klagend und hysterisch.
    Nachdem der Bucklige für mich Feuer gemacht hatte, erkundigte ich mich nach der Fütterung. Es war noch nicht ganz Essenszeit. Ich legte mich im Mantel aufs Bett und zog die Decke über mich. Neben mir stand der unvermeidliche wackelige Nachttisch mit dem Pißpott drin. Ich stellte den Wecker auf den Tisch und beobachtete, wie die Minuten verstrichen. In das feuchte Zimmerloch sickerte von der Straße her ein bläuliches Licht. Ich lauschte auf das Vorüberrattern der Lastautos, während ich gedankenverloren das Ofenrohr mit seinem Knie anstarrte, das mit einem Stück Draht zusammengehalten war. Die Kohlenkiste erregte mein Interesse. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Zimmer mit einer Kohlenkiste bewohnt. Und nie in meinem Leben hatte ich Feuer gemacht oder Kinder unterrichtet. Ebensowenig hatte ich jemals in meinem Leben ohne Bezahlung gearbeitet. Ich fühlte mich gleichzeitig frei und gefesselt, so wie man sich kurz vor der Wahl fühlt, wenn alle Schwindler von Kandidaten aufgestellt sind und man bekniet wird, seine Stimme dem richtigen Mann zu geben. Ich fühlte mich wie ein Tagelöhner, wie ein Hans Dampf in allen Gassen, wie ein Jäger, wie ein Seeräuber, wie ein Galeerensklave, wie ein Pädagoge, wie ein Wurm und eine Laus. Ich war frei, aber meine Glieder waren gefesselt. Eine demokratische Seele mit einer Eßmarke, aber ohne Bewegungsfreiheit, ohne Stimme. Ich fühlte mich wie eine an ein Brett genagelte Qualle. Vor allem fühlte ich mich hungrig. Die Uhrzeiger rückten langsam vor. Noch galt es, weitere zehn Minuten totzuschlagen, bis es Feueralarm geben würde. Die Schatten im Zimmer wurden tiefer. Es wurde unheimlich still, eine gespannte Stille, die an meinen Nerven zerrte. Kleine Schneeklumpen klebten an den Fensterscheiben. In weiter Ferne stieß eine Lokomotive einen schrillen Schrei aus. Dann wieder Totenstille. Der Ofen hatte zu glühen angefangen, strahlte aber keine Hitze aus. Ich fürchtete schon, daß ich einschlummern und das Essen versäumen könnte. Das würde bedeuten, daß ich die ganze Nacht mit leerem Magen wachliegen mußte. Ich bekam einen panischen Schrecken.
    Gerade einen Augenblick vor Ertönen des Gongs sprang ich aus dem Bett, schloß hinter mir die Tür und stürmte in den Hof hinunter. Dort verlief ich mich. Ein viereckiger Häuserblock nach dem anderen, eine Treppenflucht nach der anderen. Ich lief von einem Gebäude ins andere auf der verzweifelten Suche nach dem Speisesaal. Ich kam an einer langen Reihe junger Leute vorüber, die in einer Kolonne Gott weiß wohin marschierten. Sie schritten dahin wie Kettensträflinge mit einem Sklaventreiber an der Spitze. Endlich sah ich ein energisch aussehendes Individuum mit einem steifen Hut auf dem Kopf auf mich zukommen. Ich hielt ihn an, um nach dem Weg zum Speisesaal zu fragen. Es traf sich, daß ich den Richtigen angehalten hatte. Es war Monsieur le Proviseur, und er schien entzückt, mir so zufällig begegnet zu sein. Er wollte sogleich wissen, ob ich gut untergebracht sei, ob er noch etwas für mich tun könne. Ich sagte ihm, alles sei in Ordnung. Es sei nur ein wenig kalt, wagte ich hinzuzusetzen. Er versicherte mir, dieses

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