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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Wetter sei recht ungewöhnlich. Dann und wann kämen Nebel und ein wenig Schnee, und es würde für eine Weile unerquicklich und so weiter und so fort. Die ganze Zeit hielt er mich am Arm, während er mich zum Speisesaal geleitete. Er schien ein recht anständiger Kerl zu sein. Ein richtiger Kamerad, dachte ich bei mir. Ich ging sogar so weit, mir vorzustellen, daß ich später dicke Freundschaft mit ihm schließen könnte, daß er mich an einem bitterkalten Abend zu sich in sein Zimmer einladen und mir einen heißen Grog brauen würde. Ich malte mir alle möglichen freundlichen Dinge in den paar Augenblicken aus, die es dauerte, um die Tür zum Speisesaal zu erreichen. Hier, während meine Gedanken eine Meile in der Minute dahinstürmten, schüttelte er mir die Hand und wünschte mir, wobei er den Hut zog, gute Nacht. Ich war so verwirrt, daß ich ebenfalls meinen Hut lüftete. Das war das Richtige, wie ich bald herausfand. So oft man an einem Lehrer oder auch an Monsieur l’Econome vorbeikommt, zieht man den Hut. Auch wenn man ein dutzendmal am Tag an dem gleichen Kerl vorbeikommt. Das ändert nichts. Man muß grüßen, auch wenn der Hut in Fransen geht. Die Höflichkeit verlangt es.
    Jedenfalls hatte ich jetzt den Speisesaal gefunden. Er glich einer Klinik der East Side, mit gekachelten Wänden, greller Beleuchtung und Tischen mit Marmorplatten. Und natürlich gab es einen großen Ofen mit Knierohr. Das Essen war noch nicht aufgetragen. Ein Krüppel rannte ein und aus mit Tellern, Messern, Gabeln und Weinflaschen. In einer Ecke unterhielten sich lebhaft mehrere junge Leute. Ich ging zu ihnen und stellte mich vor. Sie bereiteten mir einen sehr herzlichen Empfang. Einen eigentlich fast zu herzlichen. Ich konnte nicht ganz dahinterkommen. Im Nu begann sich der Raum zu füllen. Rasch wurde ich von einem dem anderen vorgestellt. Dann bildeten sie einen Kreis um mich, füllten die Gläser und begannen zu singen:
    «L’autre soir l’idée m’est venue
    Cré nom de Zeus d’enculer un pendu;
    Le vent se lève sur la potence,
    Voilà mon pendu qui se balance,
    J’ ai dû l’enculer en sautant,
    Cré nom de Zeus, on est jamais content.
     
    Baiser dans un con trop petit,
    Cré nom de Zeus, on s’écorche le vit;
    Baiser dans un con trop large,
    On ne sait pas où l’on décharge;
    Se branler étant bien emmerdant,
    Cré nom de Zeus, on est jamais content.»
    Danach meldete Quasimodo, daß das Essen angerichtet sei.
    Sie waren ein lustiger Verein, les surveillants . Da war Kroa, der wie ein Schwein rülpste und immer einen lauten Furz ließ, wenn er sich zu Tisch setzte. Er konnte dreizehnmal hintereinander furzen, belehrte man mich. Er hielt den Rekord. Dann war da Monsieur le Prince, ein Athlet, der gerne am Abend, wenn er in die Stadt ging, einen Smoking anzog. Er hatte einen schönen Teint, ganz wie ein Mädchen, und rührte nie Wein an oder las etwas, was seinen Geist anstrengen konnte. Neben ihm saß Petit Paul, aus dem Midi, der die ganze Zeit nur an Mösen dachte; er pflegte jeden Tag zu sagen: « A partir de jeudi je ne parlerai plus des femmes .» Er und Monsieur le Prince waren unzertrennlich. Dann gab es noch Passeleau, ein veritabler junger Taugenichts, der Medizin studierte und jedermann anpumpte. Er sprach ununterbrochen über Ronsard, Villon und Rabelais. Mir gegenüber saß Mollesse, Agitator und Organisator der pions , der sich’s nicht nehmen ließ, das Fleisch nachzuwiegen, um zu sehen, ob nicht ein paar Gramm fehlten. Er bewohnte ein kleines Zimmer in der Krankenabteilung. Sein Todfeind war Monsieur l’Econome, was kein besonderes Verdienst von ihm war, denn jedermann haßte dieses Individuum. Sein Kamerad wurde Le Pénible genannt, ein hartgesotten aussehender Bursche mit einem Habichtsprofil, der strengste Sparsamkeit an den Tag legte und sich als Geldverleiher betätigte. Er sah aus wie ein Holzschnitt von Albrecht Dürer, ein Gemisch all der strengen, herben, mürrischen, verbitterten, unseligen, unglücklichen und in sich gekehrten Teufel, welche die Ruhmeshalle von Deutschlands mittelalterlichen Rittern bevölkern. Zweifellos ein Jude. Jedenfalls wurde er kurz nach meiner Ankunft bei einem Autounfall getötet, ein Umstand, durch den mir die Rückerstattung von dreiundzwanzig Francs erspart blieb. Mit Ausnahme von Renaud, der neben mir saß, ist meine Erinnerung an die anderen erloschen. Sie gehörten zu der Kategorie farbloser Menschen, aus denen die Welt der Ingenieure, Architekten,

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