Wendekreis des Krebses
Zahnärzte, Apotheker, Lehrer usw. besteht. Es gab nichts, was sie von den groben Klötzen unterschieden hätte, an denen sie sich wohl später ihre Schuhe abwischten. Sie waren Nullen in jedem Sinne des Wortes, Nummern, die den Kern einer achtbaren und kläglichen Bürgerschaft bilden. Sie aßen mit gesenkten Köpfen und waren immer die ersten, die eine zweite Portion verlangten. Sie hatten einen guten Schlaf und beklagten sich nie. Sie waren weder lustig noch traurig. Sie gehörten zu den Lauen, die Dante in die Vorhölle verwies. Die gesellschaftliche Elite.
Nach dem Abendessen war es üblich, sofort in die Stadt zu gehen, außer man hatte Dienst im Schlafsaal. Im Mittelpunkt der Stadt waren die Cafés, riesige, öde Hallen, wo die verschlafenen Geschäftsleute von Dijon sich versammelten, um Karten zu spielen und der Musik zu lauschen. Es war warm in diesen Cafés, das ist das Beste, was ich zu ihren Gunsten sagen kann. Auch die Sitze waren recht bequem. Und immer gab es dort ein paar Huren, die sich für ein Glas Bier oder eine Tasse Kaffee zu einem setzten und mit einem quatschten. Die Musik andererseits war grausig. Was für eine Musik! In einer Winternacht kann in einem schmutzigen Loch wie Dijon nichts quälender, nichts nervenaufreibender sein als der Klang einer französischen Kapelle. Besonders einer dieser traurigen Damenkapellen, wo alles ein Quietschen und Furzen ist, vorgetragen mit dem trockenen, algebraischen Rhythmus und der hygienischen Gleichförmigkeit von Zahnpasta. Ein Gefiedel und Gekratze, ausgeführt für so und so viele Francs die Stunde – um das Weitere schert man sich den Teufel! Welche Melancholie! Als ob der alte Euklid sich auf seine Hinterbeine gestellt und Blausäure geschluckt hätte. Der ganze Bereich der Idee, von der Vernunft so ausgepowert, daß nichts übrigbleibt, um daraus Musik zu machen, außer den leeren Schlitzen der Ziehharmonika, durch die der Wind pfeift und den Äther zerreißt. Jedenfalls, im Zusammenhang mit diesem Vorposten von Musik zu sprechen, ist ähnlich, wie in der Todeszelle von Champagner zu träumen. Die Musik war meine kleinste Sorge. Ich dachte nicht einmal ans Ficken, so düster, so entmutigend, so trocken, so grau war alles. Auf meinem Heimweg in der ersten Nacht entdeckte ich an der Tür eines Cafés eine Inschrift aus dem Gargantua . Innen war das Café wie ein Leichenschauhaus. Dennoch, vorwärts!
Ich hatte eine Menge Zeit zur Verfügung und keinen Sou zum Ausgeben. Zwei oder drei Konversationsstunden am Tag – das war alles. Und was nützte es, diesen armen Hunden Englisch beizubringen? Sie taten mir verteufelt leid. Den ganzen Vormittag mußten sie sich durch John Gilping’s Ride durchackern, um am Nachmittag zu mir zu kommen und sich in einer toten Sprache zu üben. Ich dachte an die schöne Zeit, die ich damit verschwendet hatte, Vergil zu lesen oder mich durch so unverständliches Zeug wie Hermann und Dorothea hindurchzuarbeiten. Was für unvernünftige, brotlose Künste! Ich dachte an Carl, der den Faust von hinten aufsagen kann und nie ein Buch schreibt, ohne seinen unsterblichen, unbestechlichen Goethe über den Schellenkönig zu loben. Und doch besaß er nicht genug Verstand, sich eine reiche Pritsche zu angeln und Unterwäsche zum Wechseln aufzutreiben. Dieser Liebe zur Vergangenheit, die meist mit Brotmangel und Barackenwohnungen endet, haftet etwas Obszönes an. Es ist etwas Obszönes an diesem geistigen Getue, das einem Idioten erlaubt, Dicke Berthas und Schlachtschiffe und Sprengstoffe mit Weihwasser zu besprengen. Jeder mit den Klassikern vollgestopfte Mensch ist ein Feind der Menschheit.
Hier war ich nun, der das Evangelium französisch-amerikanischer Freundschaft verbreiten sollte, der Abgesandte eines Leichnams, der von der Errichtung des Weltfriedens träumte, nachdem er überall geraubt, nachdem er unerhörtes Leid und Elend verursacht hatte. Pfui! Worüber erwartete man, daß ich sprechen würde, frage ich mich. Über die Grashalme, über Zollmauern, die Unabhängigkeitserklärung, den letzten Bandenkrieg? Über was? Nur eben über was, möchte ich gerne wissen. Schön, ich sage es euch. Ich erwähnte diese Dinge nie. Ich fing sofort auf eigene Faust mit einem Unterricht in der Physiologie der Liebe an. Wie die Elefanten beim Liebesspiel vorgehen – das war’s! Es zündete wie ein Lauffeuer. Nach dem ersten Tag gab es keine leeren Bänke mehr. Nach dieser ersten englischen Unterrichtsstunde standen sie an der Tür an
Weitere Kostenlose Bücher