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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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und warteten auf mich. Wir kamen großartig miteinander aus. Sie stellten mir alle möglichen Fragen, so als hätten sie noch nie das Geringste gelernt. Ich ließ sie loslegen. Ich brachte ihnen bei, noch kitzligere Fragen zu stellen. Fragt, was ihr wollt! – war mein Wahlspruch. Ich bin hier als bevollmächtigter Gesandter des Reiches freier Geister. Ich bin hier, um Fieber und Gärung zu wecken. «In gewisser Weise», sagt ein hervorragender Astronom, «scheint das stoffliche Weltall zu vergehen wie eine Geschichte, die erzählt ist, es scheint sich in Nichts aufzulösen wie eine Vision.» Das scheint das allgemeine Gefühl zu sein, das den brotlosen Künsten zugrunde liegt. Ich selbst glaube nicht daran. Ich glaube nicht einen Deut von dem, was einem diese Schwindler ins Hirn zu trichtern versuchen.
    Zwischen den Unterrichtsstunden ging ich, wenn ich kein Buch zu lesen hatte, in den Schlafsaal hinauf und plauderte mit den pions . Sie waren rührend unwissend in allem, besonders auf dem Gebiet der Kunst. Fast ebenso unwissend wie die Schüler selber. Es war, als sei ich in ein privates kleines Narrenhaus ohne Ausgangsschilder eingetreten. Manchmal schnüffelte ich unter den Arkaden umher und beobachtete die Kleinen, wie sie mit riesigen Stücken Brot in ihren dreckigen Schnauzen daherkamen. Ich war immer hungrig, denn es war mir unmöglich, zum Frühstück hinunterzugehen, das zu einer verruchten Morgenstunde, gerade wenn das Bett mollig zu werden anfing, ausgegeben wurde. Riesige Näpfe voll blauem Kaffee mit dicken Weißbrotbrocken ohne Butter. Zum Mittagessen Bohnen oder Linsen mit Fleischstückchen darin, damit es appetitanregend aussah. Ein Essen wie für Kettensträflinge, für Steinklopfer. Sogar der Wein war jammervoll. Die Speisen waren entweder kraftlos oder verkocht. Sie enthielten zwar Kalorien, hatten aber keinen Geschmack. Monsieur l’Econome war für all das verantwortlich, hieß es. Er wurde dafür bezahlt, uns gerade noch über Wasser zu halten. Er fragte nicht, ob wir an Hämorrhoiden oder Karbunkeln litten; er erkundigte sich nicht, ob wir einen empfindlichen Gaumen oder die Eingeweide von Wölfen hatten. Warum sollte er auch? Er war angestellt, damit so und so viele Gramm Nahrung so und so viele Kilowatt Energie hervorbrachten. Alles in Pferdekräften ausgerechnet in den dicken Hauptbüchern, in welche die bleichgesichtigen Angestellten morgens, mittags und abends ihre Eintragungen kratzten. Soll und Haben mit einem roten Längsstrich durch die Mitte der Seite.
    Wenn ich so die meiste Zeit mit leerem Magen um das Häuserviereck herumstrich, wurde ich langsam verrückt. Wie Karl der Einfältige, der arme Teufel – nur hatte ich keine Odette Champsdivers, mit der ich Stinkefingerchen spielen konnte. Die Hälfte der Zeit mußte ich Zigaretten von den Schülern annehmen, und während der Stunden kaute ich manchmal ein Stück trockenes Brot gemeinsam mit ihnen. Da mir ständig das Feuer ausging, verbrauchte ich bald meine Holzration. Es war eine teuflische Mühe, den Schreibstubenhengsten ein wenig Holz abzuschwatzen. Schließlich wurde ich darüber so aufgebracht, daß ich auf der Straße nach Brennholz suchte wie ein Araber. Erstaunlich, wie wenig Brennholz man in den Straßen von Dijon auftreiben konnte. Diese Fourage-Expeditionen führten mich jedoch in merkwürdige Bezirke. Ich lernte die kleine, nach Monsieur Philibert Papillon – einem toten Musiker, glaube ich – benannte Straße kennen, wo es eine Reihe von Bordellen gab. Hier war es immer lustiger. Es roch nach Küche und zum Trocknen aufgehängter Wäsche. Hin und wieder erhaschte ich einen Blick auf die armen darin hausenden Schwachköpfe. Sie waren besser dran als die armen Luder im Zentrum der Stadt, denen ich oft begegnete, wenn ich in einem Warenhaus herumstrich. Ich tat das häufig, um mich zu erwärmen. Sie taten es aus dem gleichen Grunde, vermute ich. Hielten Ausschau nach jemandem, der ihnen einen Kaffee zahlte. Durch die Kälte und Einsamkeit sahen sie ein wenig verschroben aus. Die ganze Stadt sah ein wenig verschroben aus, wenn das abendliche Blau auf sie herabsank. Man konnte die Hauptstraße jeden Donnerstag in der Woche bis zum Jüngsten Gericht auf und ab wandeln, ohne jemals einer mitfühlenden Seele zu begegnen. Sechzig- oder siebzigtausend – vielleicht sogar mehr – in wollenes Unterzeug gehüllte Menschen und kein Lokal, wo man hingehen, nichts, was man unternehmen konnte. Wagenladungen voll Senf werden

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