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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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hergestellt. Damenkapellen fiedeln die Lustige Witwe . Silberbestecke liegen in den großen Hotels auf. Der herzogliche Palast, der Stück um Stück, Stein um Stein zerfällt. Die vor Frost knarrenden Bäume. Ein unaufhörliches Geklapper von Holzschuhen. Die Universität, die Goethes Tod oder Geburt feierte, ich weiß nicht mehr was von beiden. (Gewöhnlich sind es die Todestage, die gefeiert werden.) Jedenfalls eine idiotische Angelegenheit. Alles gähnt und streckt sich.
    Jedesmal, wenn ich durch die Anfahrt in das Häusergeviert kam, überfiel mich ein Gefühl grenzenloser Nutzlosigkeit. Außen freudlos und leer, innen freudlos und leer. Eine hohle Sterilität hängt über der Stadt, ein Nebel der Bücherweisheit. Schlacken und Asche der Vergangenheit. Rund um den Innenhof waren die Klassenzimmer angeordnet, kleine Hütten, wie man sie vielleicht in den Wäldern des Nordens zu sehen bekommt, in denen die Erzieher ihren Lastern die Zügel schießen ließen. An der Wandtafel das nutzlose Abrakadabra, das die zukünftigen Bürger der Republik ihr ganzes Leben lang nicht vergessen werden. Hin und wieder wurden die Eltern in dem dicht an der Anfahrt gelegenen großen Besuchszimmer empfangen, wo Büsten der Helden der klassischen Periode wie Molière, Racine, Corneille, Voltaire usw. standen, alle die Vogelscheuchen, welche die Minister mit befeuchteten Lippen zitieren, sooft ein Unsterblicher dem Wachsfigurenkabinett hinzugefügt wird. (Keine Büste von Villon, keine von Rabelais oder Rimbaud.) Jedenfalls trafen sich hier die Eltern und die Popanze, die der Staat anstellt, damit sie das Denken der Jugend in Sackgassen führen, zu feierlicher, geheimer Versammlung. Immer dieses Verbiegen, diese ewige Ziergärtnerei, um den Geist ansprechender zu gestalten. Gelegentlich kamen auch die Kleinen, die Sonnenblümchen, die bald aus dem Klassenzimmer verpflanzt werden sollten, um die städtischen Rasenplätze zu schmücken. Manche von ihnen waren nur Gummipflanzen, die leicht mit einem Hemdfetzen abgestaubt werden konnten. Sie alle zog es zu dem geliebten Leben in den Schlafsälen, sobald die Nacht anbrach. Die Schlafsäle, wo ein rotes Licht brannte, wo die Glocke wie ein Feuermelder schrillte, wo die Bodenbretter ausgetreten waren von dem hastigen Bemühen, in die Schulzimmer zu stürmen.
    Und dann die Lehrer! Während der ersten paar Tage ging ich so weit, mit einigen von ihnen einen Händedruck zu tauschen, und natürlich gab es immer die Grußbezeigung mit dem Lüften des Hutes, wenn wir unter den Arkaden aneinander vorbeikamen. Was aber eine offenherzige Unterhaltung oder einen Spaziergang zur nächsten Straßenecke betrifft, um gemeinsam ein Glas zu trinken, so konnte davon keine Rede sein. Es war einfach unvorstellbar. Die meisten von ihnen sahen so aus, als hätte man sie zu Tode erschreckt. Jedenfalls gehörte ich einer anderen Hierarchie an. Sie wollten nicht einmal eine Laus mit jemandem wie mir gemeinsam haben. Sie auch nur anzusehen, reizte mich so verdammt, daß ich sie jedesmal leise vor mich hinmurmelnd verfluchte, wenn ich sie kommen sah. Ich stand dann meist an eine Säule gelehnt da, eine Zigarette im Mundwinkel und den Hut in die Stirn gezogen, und wenn sie bis auf Hörweite herangekommen waren, spuckte ich einen tüchtigen Speichelstrahl aus und lüftete den Hut. Ich nahm mir nicht die Mühe, meine Klappe aufzumachen und ihnen guten Tag zu wünschen. Ich murmelte einfach vor mich hin: «Leck mich!» und ließ es dabei bewenden.
    Nach einer Woche kam es mir so vor, als sei ich mein ganzes Leben hier gewesen. Es war wie ein elender, beschissener Alptraum, den man nicht abzuschütteln vermag. Ich fiel in Koma, wenn ich nur daran dachte. Dabei war ich erst vor ein paar Tagen angekommen. Die Nacht brach an. Die Menschen huschten in dem nebligen Licht wie Ratten nach Hause. Die Bäume glitzerten mit diamantspitzer Bosheit. Ich vergegenwärtigte mir alles, tausendmal oder öfter. Vom Bahnhof zum Gymnasium war es wie ein Gang durch den Polnischen Korridor, alles zerfranst, zerklüftet, nervenzermürbend. Ein Pfad aus Totengebeinen, mit in Leichentücher gehüllten, gekrümmten und geduckten Gestalten. Aus Sardinengräten bestehende Rückgrate. Das Gymnasium selbst schien aus einem See dünnen Schnees aufzuragen, ein umgestülpter Berg, der hinunter zur Erdmitte deutete, wo Gott oder der Teufel damit beschäftigt ist, in einer Zwangsjacke Korn für das Paradies zu mahlen, das immer ein verregneter Traum bleibt.

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