Wendekreis des Krebses
dir das an!» Und er zeigt mir ein paar Aquarelle, die das Mädchen gemacht hatte – geschickte kleine Arbeiten –, ein Messer und einen Brotlaib, den Tisch und die Teekanne, alles übereinander. «Sie war in mich verliebt», fügt er hinzu. «Sie war noch ganz wie ein Kind. Ich mußte ihr sagen, wann sie ihre Zähne putzen und wie sie ihren Hut aufsetzen sollte. Da, sieh dir die Zuckerstangen an! Ich kaufte ihr jeden Tag ein paar Zuckerstangen, die mochte sie besonders gerne.»
«Und was tat sie, als ihre Eltern kamen, um sie abzuholen? Machte sie keine Geschichten?»
«Sie weinte ein bißchen, das war alles. Was konnte sie schon tun? Sie ist minderjährig … ich mußte versprechen, sie nie wiederzusehen und ihr auch nicht zu schreiben. Nun warte ich eben ab – ob sie wegbleibt oder nicht. Sie war noch Jungfrau, als sie herkam. Die Frage ist nur, wie lange wird sie es ohne eine Nummer aushalten? Sie konnte gar nicht genug davon kriegen, als sie hier war. Sie hat mich völlig fertiggemacht.»
Inzwischen war die im Bett aufgewacht und rieb sich die Augen. Auch sie sah mir recht jung aus. Nicht übel anzusehen, aber teuflisch dumm. Sie wollte sofort wissen, worüber wir sprachen.
«Sie wohnt hier im Hotel», erklärte Carl. «Im dritten Stock. Willst du mit in ihr Zimmer gehen? Ich bringe das für dich in Ordnung.»
Ich wußte nicht, ob ich wollte oder nicht, aber als ich Carl es noch einmal mit ihr treiben sah, beschloß ich zu wollen. Ich fragte sie vorher, ob sie nicht zu müde sei. Unnötige Frage. Eine Hure ist niemals zu müde, um die Beine breitzumachen. Manche schlafen ein, während man an ihnen herumwirtschaftet. Jedenfalls wurde beschlossen, daß wir hinunter in ihr Zimmer gehen würden. Auf diese Weise brauchte ich dem patron kein Übernachtungsgeld zu zahlen.
Am Morgen mietete ich ein Zimmer mit Blick auf den kleinen Park, in den immer die Reklameschilderträger kamen, um Brotzeit zu machen. Um zwölf holte ich Carl zum Frühstück ab. Er und Van Norden hatten während meiner Abwesenheit eine neue Gewohnheit angenommen: sie gingen jeden Tag zum Frühstücken ins Coupole . «Warum gerade ins Coupole? » fragte ich. «Warum ins Coupole », wiederholte Carl. «Weil es im Coupole zu allen Tageszeiten Porridge gibt und man nach Porridge gut scheißen kann.» – «Ich verstehe», sagte ich.
Es ist wieder ganz wie früher. Wir drei gehen zusammen zur Arbeit und dann nach Hause. Kleine Streitigkeiten, kleine Rivalitäten. Van Norden noch immer erfüllt von seinen Pritschen und der Notwendigkeit, sich den Dreck aus dem Leib zu spülen. Nur hat er jetzt einen neuen Zeitvertreib gefunden. Er hat entdeckt, daß es weniger Umstände macht, wenn man onaniert. Ich war platt, als er mir diese Neuigkeit mitteilte. Ich hielt es nicht für möglich, daß ein Kerl von seinem Format Vergnügen daran finden sollte, sich selbst fertigzumachen. Ich war es noch mehr, als er mir erklärte, wie er dabei zu Werke geht. Er hatte eine neue Methode ‹erfunden›, wie er sich ausdrückte. «Man nimmt einen Apfel», erklärte er, «und bohrt das Gehäuse aus. Dann reibt man etwas Vaseline hinein, damit er sich nicht zu rasch verbraucht. Probier’s mal! Es macht dich zuerst verrückt. Jedenfalls ist es billiger, und man vergeudet nicht viel Zeit. Nebenbei bemerkt», sagte er, das Thema wechselnd, «dein Freund Fillmore ist im Krankenhaus. Ich glaube, er spinnt. Jedenfalls hat mir das sein Mädchen gesagt. Während du weg warst, hat er eine Französin aufgetan, mußt du wissen. Sie stritten sich immer wie die Verrückten. Sie ist ein großes, gesundes Biest – eine Wilde. Ich hätte nichts dagegen, ihr einen zu verpassen, aber ich glaube, sie würde mir die Augen auskratzen. Er lief immer mit zerkratztem Gesicht und zerkratzten Händen herum. Sie sieht auch manchmal verschwollen aus – oder sah wenigstens so aus. Du weißt ja, wie diese französischen Pritschen sind: wenn sie lieben, verlieren sie den Verstand.»
Offenbar hatte sich manches ereignet, seit ich weg war. Es tat mir leid, das von Fillmore zu hören. Er war verdammt gut zu mir gewesen. Als ich von Van Norden fortging, sprang ich auf einen Omnibus und fuhr direkt ins Krankenhaus.
Es war wohl noch nicht entschieden, ob er völlig den Verstand verloren hatte, denn ich fand ihn im oberen Stockwerk in einem Privatzimmer im Genuß aller Freiheiten der normalen Patienten. Er war gerade aus dem Bad gekommen, als ich eintrat. Wie er mich erblickte, brach er in Tränen
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