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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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bleibt nur noch, ein Mensch zu sein. Vergangene Woche glaubte ich, das Problem des Lebensunterhaltes sei so gut wie gelöst und ich könnte mich allmählich selbst ernähren. Zufällig lief mir noch ein Russe in den Weg, der Serge hieß. Er wohnt in Suresnes, wo es eine kleine Kolonie von Emigranten und verkrachten Künstlern gibt. Vor der Revolution war Serge Hauptmann bei der Kaiserlichen Garde; er mißt auf Strümpfen einen Meter sechsundachtzig und trinkt Wodka wie ein Loch. Sein Vater war Admiral oder so was ähnliches auf dem Panzerkreuzer Potemkin.
    Ich lernte Serge unter ziemlich merkwürdigen Umständen kennen. Als ich nach etwas Eßbarem herumschnüffelte, fand ich mich eines Tages um die Mittagszeit in der Nachbarschaft der Folies-Bergère, das heißt am Hintereingang in dem engen Durchgang mit einem Eisentor am einen Ende. Ich trieb mich am Bühneneingang herum, in der vagen Hoffnung auf eine Begegnung mit einem der Schmetterlinge, als ein offener Lastwagen in der Seitenstraße hielt. Wie er mich dort mit den Händen in der Tasche stehen sieht, fragt mich der Fahrer, nämlich Serge, ob ich ihm helfen wolle, die eisernen Fässer abzuladen. Als er hört, daß ich Amerikaner und blank bin, weint er fast vor Freude. Er hat, scheint es, überall nach einem Englischlehrer gesucht. Ich helfe ihm die Fässer Insektenpulver hineinrollen und sehe mich satt an den in den Bühnengängen herumflatternden Schmetterlingen. Der Zwischenfall nimmt für mich seltsame Proportionen an – das leere Haus, die in den Bühnengängen herumhüpfenden Tingeltangel-Puppen, die Fässer mit dem Desinfektionsmittel, der Panzerkreuzer Potemkin – und vor allem Serges Güte. Er ist groß und gütig, jeder Zoll ein Mann, aber mit dem Herzen einer Frau.
    In dem nahen Café – Café des Artistes – schlägt er mir sofort vor, mich bei sich aufzunehmen. Er sagt, er wolle im Flur eine Matratze auf den Boden legen. Für die Stunden, sagt er, will er mir täglich eine Mahlzeit spendieren, eine tüchtige russische Mahlzeit, oder, wenn die Mahlzeit aus irgendeinem Grunde ausfällt, fünf Francs. Es klingt wundervoll für mich – wundervoll . Die einzige Frage ist, wie komme ich jeden Tag von Suresnes zum American Express?
    Serge besteht darauf, daß wir sofort beginnen. Er gibt mir Fahrgeld für den Omnibus, damit ich abends nach Suresnes hinauskommen kann. Ich komme kurz vor dem Abendessen mit meinem Rucksack an, um Serge eine Stunde zu geben. Es sind bereits einige Gäste da, anscheinend essen sie immer in Massen, wobei jeder etwas zusteuert.
    Wir sitzen zu acht am Tisch – und drei Hunde. Die Hunde bekommen zuerst etwas. Für sie gibt es Hafergrütze. Dann beginnen wir. Auch wir essen Hafergrütze als Vorgericht. « Chez nous », sagt Serge mit einem Augenzwinkern, « c’est pour les chiens, les Quaker Oats. Ici pour le gentleman. Ça va .» Nach der Hafergrütze Pilzsuppe und Gemüse. Danach Speckomelette, Obst, Rotwein, Wodka, Kaffee, Zigaretten. Nicht schlecht, so eine russische Mahlzeit. Jeder spricht mit vollem Mund. Gegen Ende des Essens läßt sich Serges Frau, eine faule armenische Schlampe, aufs Sofa plumpsen und beginnt Pralinen zu knabbern. Sie fischt mit ihren fetten Fingern in der Schachtel herum, nagt ein winziges Stückchen ab, um zu sehen, ob Füllung drin ist, und wirft es dann auf den Boden für die Hunde.
    Nach dem Essen eilen die Gäste fort. Sie stürzen Hals über Kopf davon, als fürchteten sie, die Pest zu bekommen. Serge und ich bleiben mit den Hunden zurück, seine Frau ist auf dem Sofa eingeschlafen. Serge bewegt sich in seiner beiläufigen Art und scharrt die Abfälle für die Hunde zusammen. «Hunde das serr gern haben», sagt er. «Serr gut für Hunde. Kleiner Hund hat Würmer, er noch zu jung.» Er beugt sich hinunter, um ein paar weiße Würmer zu untersuchen, die zwischen den Pfoten des Hundes auf dem Teppich liegen. Versucht, die Geschichte mit den Würmern auf englisch zu erklären, aber sein Wortschatz reicht nicht aus. Schließlich zieht er das Wörterbuch zu Rate. «Ah», sagt er, indem er mich triumphierend ansieht, «Bandwürmer!» Meine Antworten sind offenbar nicht sehr intelligent. Serge wird unsicher. Er läßt sich auf die Hände und Knie nieder, um sie genauer zu untersuchen. Er nimmt einen hoch und legt ihn auf den Tisch neben das Obst. «Hu, er sein nicht serr groß», brummt er. «Nächste Stunde sie mir bringen Würmer bei, ja? Sie gute Lehrer. Ich machen Fortschritte mit Sie …»
    Wie

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