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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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nichts ist – nur eben eine Leere. Wäre es nicht ulkig, wenn man eine Harmonika darin fände, oder einen Kalender? Aber nichts ist da – einfach nichts. Es ist widerlich. Es macht mich fast verrückt … Weißt du, was ich danach tat? Ich verpaßte ihr rasch einen und kehrte ihr dann den Rücken zu. Jawoll, ja, ich nahm ein Buch zur Hand und las. Man kann etwas von einem Buch haben, sogar von einem schlechten Buch – aber eine Möse ist einfach reiner Zeitverlust …»
    Gerade als er seinen Vortrag beendete, wirft uns eine Hure einen herausfordernden Blick zu. Ohne die geringste Überleitung sagt er kurz zu mir: «Würdest du ihr gerne einen verpassen? Es wird nicht viel kosten … sie nimmt uns alle zwei mit.» Und ohne auf eine Antwort zu warten, rappelt er sich auf die Beine und geht zu ihr hinüber. In ein paar Augenblicken kommt er zurück. «Alles geregelt», sagt er. «Trink dein Bier aus. Sie hat Hunger. Um diese Stunde ist kein Geschäft mehr zu machen. Sie nimmt uns alle beide für fünfzehn Francs. Wir gehen in mein Zimmer, das ist billiger.»
    Auf dem Weg ins Hotel fröstelt das Mädchen, so daß wir halt machen und ihr einen Kaffee spendieren müssen. Sie ist ein eher zartes Wesen und durchaus nicht übel anzusehen. Sie kennt offenbar Van Norden, weiß, daß nichts von ihm zu erwarten ist als die fünfzehn Francs. «Du hast keinen Kies», murmelt er mir gedämpft zu. Da ich keinen Centime in der Tasche habe, weiß ich nicht, was das soll, bis er herausplatzt: «Um Himmels willen, vergiß nicht, daß wir blank sind. Werd nicht weich, wenn wir hinaufkommen. Sie wird dich um ein kleines Sondergeschenk bitten – ich kenne diese Schnalle! Ich könnte sie für zehn Francs haben, wenn ich wollte. Es hat keinen Sinn, sie zu verwöhnen …»
    « Il est méchant, celui-là », sagt sie zu mir, denn sie hat in ihrer stupiden Art verstanden, worauf seine Worte hinauswollen.
    «Non, il n’est past méchant. Il est très gentil.»
    Sie schüttelt lachend den Kopf. « Je le connais bien, ce type .» Und dann beginnt sie eine Jammergeschichte vom Krankenhaus, der rückständigen Miete und dem Baby auf dem Lande. Aber sie übertreibt es nicht. Sie weiß, daß unsere Ohren taub sind. Aber das Elend sitzt in ihr, liegt ihr wie ein Stein auf der Brust, und es ist kein Raum für andere Gedanken. Sie versucht nicht, an unser Mitgefühl zu appellieren – sie verlagert nur diese schwere Last in ihr von einer Stelle zur anderen. Sie gefällt mir recht gut. Ich hoffe zu Gott, daß sie keine Geschlechtskrankheit hat.
    Im Zimmer trifft sie mechanisch ihre Vorbereitungen. «Es ist nicht zufällig ein Stückchen Brot im Haus?» fragt sie, während sie über dem Bidet hockt. Van Norden lacht darüber. «Da, trink einen Schluck», sagt er und schiebt ihr die Flasche hin. Sie will nichts trinken, ihr Magen ist schon kaputt, klagt sie.
    «Das ist ganz ihre Art», sagt Van Norden. «Laß dich nicht rühren. Jedenfalls wollte ich, sie würde von was anderem reden. Wie, zum Teufel, soll man Leidenschaft aufbringen, wenn man eine hungrige Pritsche vor sich hat?»
    Ganz recht! In uns regt sich nicht die geringste Leidenschaft, in keinem von beiden. Und was sie betrifft, so könnte man ebensogut erwarten, daß sie ein Diamantenhalsband zum Vorschein bringt als einen Funken Leidenschaft. Aber da sind die fünfzehn Francs, und etwas hat dafür zu geschehen. Es ist wie im Krieg: sobald die Bedingungen festgelegt sind, denkt niemand mehr an was anderes als an Frieden und Schluß damit. Und doch hat keiner den Mut, die Waffen niederzulegen, zu sagen: «Ich habe die Nase voll … ich bin fertig damit.» Nein, irgendwo sind die fünfzehn Francs, für die niemand mehr einen Pfifferling gibt und die am Schluß doch keiner kriegt, aber die fünfzehn Francs sind wie der Urgrund der Dinge, und lieber als auf seine eigene Stimme zu hören, lieber als vom Urgrund auszugehen, beugt man sich der Situation, mordet und mordet weiter, und je feiger einem zumute ist, desto heldenhafter gebärdet man sich, bis zu dem Tag, an dem man den Boden unter den Füßen verliert, die Kanonen schweigen, die Bahrenträger die verstümmelten und blutenden Helden auflesen und Orden an ihre Brust heften. Dann kann man für den Rest seines Lebens über die fünfzehn Francs nachdenken. Man hat keine Augen oder Arme oder Beine mehr, aber man hat den Trost, für den Rest seiner Tage von den fünfzehn Francs zu träumen, die jedermann vergessen hat.
    Es ist genau wie im Krieg

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