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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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– ich kann es nicht aus dem Kopf bekommen. Die Art, wie sich sich an mir zu schaffen macht, um einen Funken Leidenschaft in mir zu entzünden, läßt mich denken, was für einen verdammt armseligen Soldaten ich abgeben würde, wenn ich je dumm genug wäre, so in die Falle zu gehen und mich an die Front schleppen zu lassen. Ich für mein Teil weiß, daß ich alles preisgeben würde, einschließlich der Ehre, um aus dem Schlamassel herauszukommen. Mir liegt das ganz einfach nicht, mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Aber sie hat sich die fünfzehn Francs in den Kopf gesetzt, und wenn ich nicht darum kämpfen will, zwingt sie mich, darum zu kämpfen. Aber man kann einem Mann keine Kampflust einblasen, wenn er keine Kampflust hat. Manche von uns sind so feige, daß man nicht einmal Helden aus uns machen kann, auch nicht, wenn man uns zu Tode erschreckt. Wir wissen vielleicht zu viel. Manche von uns leben nicht im Augenblick, sondern immer ein wenig voraus oder ein wenig hinter der Zeit. Meine Gedanken sind stets beim Friedensschluß. Ich kann nicht vergessen, daß es die fünfzehn Francs waren, womit die ganze Geschichte anfing. Fünfzehn Francs! Was bedeuten mir schon fünfzehn Francs, besonders, da es nicht meine fünfzehn Francs sind?
    Van Norden scheint eine normalere Einstellung dazu zu haben. Die fünfzehn Francs scheren jetzt auch ihn keinen Pfifferling. Ihn interessiert die Lage als solche. Sie scheint eine Schaustellung aller Kräfte zu verlangen – seine Mannesehre steht auf dem Spiel. Die fünfzehn Francs sind verloren, ob wir nun zum Ziel kommen oder nicht. Noch etwas mehr steht auf dem Spiel: vielleicht nicht gerade seine Mannesehre, sondern der Wille. Es ist wieder wie bei einem Mann im Schützengraben: er weiß nicht mehr, warum er weiterleben soll, denn wenn er jetzt davonkommt, wird es ihn später erwischen, aber trotzdem macht er weiter, und obwohl er die Seele einer Küchenschabe hat und sich das auch selber eingesteht: gib ihm ein Gewehr oder ein Messer oder auch nur seine bloßen Fingernägel, und er mordet und mordet weiter, er würde lieber eine Million Menschen ermorden, als aufhören und fragen warum.
    Während ich Van Norden zusehe, wie er sie bearbeitet, ist es mir, als betrachte ich eine Maschine, deren Zahnradantrieb ausgerastet ist. Sich selbst überlassen, könnten sie ewig so weitermachen, ewigmahlend und gleitend, ohne daß etwas dabei herauskommt. Bis eine Hand den Motor abstellt. Der Anblick der beiden, wie sie sich wie die Ziegen ohne den geringsten Funken von Leidenschaft kopulieren und sich aus keinem anderen Grund als dem der fünfzehn Francs abmühen und abmühen, tilgt in mir jedes andere Gefühl, außer dem unmenschlichen, meine Neugier zu befriedigen. Das Mädchen liegt auf dem Bettrand, und Van Norden ist wie ein Satyr über sie gebeugt, beide Füße fest auf den Boden gestemmt. Ich sitze hinter ihm auf einem Stuhl und beobachte ihre Bewegungen mit einer kühlen wissenschaftlichen Losgelöstheit. Meinetwegen kann es ewig dauern. Es ist, als sehe man einer dieser verrückten Maschinen zu, die Zeitungen mit ihren bedeutungslosen Schlagzeilen nach Millionen und Billionen und Trillionen herausschleudern. Die Maschine scheint, verrückt wie sie nun einmal ist, vernünftiger zu sein und ist faszinierender anzusehen als die Menschen und das Tun, dem sie ihr Dasein verdankt. Mein Interesse an Van Norden und dem Mädchen ist gleich Null. Wenn ich sie so dasitzen und jede einzelne in diesem Augenblick auf der ganzen Welt vor sich gehende Verrichtung mit ansehen könnte, wäre mein Interesse noch geringer als Null. Ich sähe keinen Unterschied zwischen diesem Phänomen und dem Fallen des Regens oder dem Ausbruch eines Vulkans. Solange dieser Funke Leidenschaft fehlt, haftet dieser Verrichtung keine menschliche Bedeutung an. Es ist interessanter, die Maschine zu beobachten. Und diese zwei sind wie eine Maschine, deren Zahnräder ausgerastet sind. Sie bedarf des Zugriffs einer menschlichen Hand, um in Ordnung zu kommen. Sie braucht einen Mechaniker.
    Ich lasse mich hinter Van Norden auf die Knie nieder und betrachte die Maschine aufmerksamer. Das Mädchen legt ihren Kopf auf die eine Seite und wirft mir einen flehenden Blick zu. «Es hat keinen Zweck», sagt sie. «Es ist unmöglich.» Woraufhin Van Norden sich mit erneuter Energie an die Arbeit macht, ganz wie ein alter Ziegenbock. Er ist ein so hartnäckiger Bruder, daß er sich lieber die Hörner abbricht, als aufzugeben. Und er wird

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