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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Gedanken. Er muß viel Zeit haben, dieser Agha Mir. Oder konzentriert er sich nur auf die Gedanken derjenigen, die telegrafisch Geld senden? In der gleichen Ausgabe finde ich eine Überschrift, die besagt, daß «die Erde sich so rasch ausdehnt, daß sie bersten kann», und darunter ist eine fotografische Darstellung verheerender Kopfschmerzen. Dann folgt ein Feuilleton über die Perle, gezeichnet Tekla. Die Austernmuschel bringt beides hervor, so belehrt die Verfasserin alle und jeden, sowohl die ‹echte› oder orientalische als auch die ‹gezüchtete› Perle. Am gleichen Tag stellen die Deutschen im Dom von Trier den Heiligen Rock zur Schau; zum erstenmal seit zweiundvierzig Jahren wurde er aus der Mottenkiste hervorgeholt. Über die Hose und Jacke steht nichts darin. In Salzburg wurden, ebenfalls am gleichen Tage, zwei Mäuse im Magen eines Menschen geboren, glaub’s oder glaub’s nicht. Eine berühmte Filmschauspielerin wird mit übereinandergeschlagenen Beinen gezeigt: sie ruht sich im Hyde Park aus, und darunter bemerkt ein wohlbekannter Maler: «Ich darf wohl sagen, daß Mrs. Coolidge soviel Charme und Persönlichkeit besitzt, daß sie auch dann zu den 12 berühmten Amerikanerinnen gehört hätte, wenn ihr Mann nicht Präsident gewesen wäre.» Einem Interview mit Herrn Humhal aus Wien entnehme ich folgendes: «Ehe ich schließe», sagte Herr Humhal, «möchte ich gerne betonen, daß fehlerloser Schnitt und Sitz nicht genügen. Gute Schneiderarbeit erweist sich erst beim Tragen. Ein Anzug muß sich dem Körper anschmiegen und doch seine Linie beibehalten, wenn der Träger geht oder sitzt.» Und sooft es in diesem Kohlenbergwerk – einem britischen Kohlenbergwerk – eine Explosion gibt, achten Sie bitte darauf, daß der König und die Königin immer prompt ihre Beileidsbezeigungen senden, telegrafisch . Und sie wohnen stets den bedeutenden Rennen bei, wenn auch unlängst nach den Zeitungen – es war, glaube ich, beim Derby – «ein heftiger Regen zu fallen begann, sehr zur Überraschung des Königs und der Königin». Herzzerreißend ist eine Notiz wie folgende: «In Italien wird behauptet, die Verfolgungen richteten sich nicht gegen die Kirche, sie sind aber trotzdem gegen die Spitze der Kirche gerichtet. Es heißt, sie richteten sich nicht gegen den Papst, sondern gegen Herz und Augen des Papstes.»
    Ich mußte ausgerechnet um die ganze Welt reisen, um ein so bequemes, angenehmes Plätzchen wie dieses zu finden. Es scheint fast unglaublich. Wie hätte ich in Amerika, wo sie einem alle Raketen in den Hintern stecken, um einem Antrieb zu geben und Mut zu machen, vorausahnen sollen, daß die ideale Stellung für einen Menschen meines Temperaments darin bestand, nach orthographischen Fehlern zu suchen? Dort drüben denkt man an nichts anderes, als eines Tages Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Jedermann ist dort ein potentieller Präsident. Hier ist es anders. Hier ist jeder eine potentielle Null. Wenn man etwas oder jemand wird, ist es ein Zufall, ein Wunder. Die Aussichten sind tausend zu eins, daß man nie aus seinem Heimatdorf herauskommt. Die Aussichten sind tausend zu eins, daß man die Beine ab- oder die Augen ausgeschossen bekommt. Es sei denn, daß Wunder geschehen, und man ist General oder Konteradmiral.
    Aber gerade darum, weil alle Aussichten gegen einen sind, weil so wenig Hoffnung besteht, ist das Leben hier köstlich, Tag für Tag, kein Gestern und kein Morgen. Das Barometer ändert sich nie, die Flagge ist immer auf halbmast. Man trägt einen schwarzen Trauerflor um den Arm, hat ein Bändchen im Knopfloch, und wenn man das Glück hat, es sich leisten zu können, kauft man sich ein Paar leichtgewichtige künstliche Gliedmaßen, vorzugsweise aus Aluminium. Was einen nicht hindert, einen apéritif zu schlürfen oder die Tiere im Zoo zu betrachten, oder mit den Geiern zu flirten, die auf der ständigen Suche nach frischem Aas die Boulevards auf und ab flattern. Die Zeit verrinnt. Wenn man Ausländer ist und seine Papiere in Ordnung hat, kann man sich dem schlechten Einfluß ohne Gefahr der Ansteckung aussetzen. Besser ist es, wenn möglich, die Stellung eines Korrektors zu haben. Comme ça, tout s’arrange . Das heißt, wenn man zufällig um drei Uhr morgens nach Hause strolcht und von der radfahrenden Polizeipatrouille aufgehalten wird, kann man ihr mit den Fingern ins Gesicht schnippen. Am Morgen, wenn der Markt in vollem Schwung ist, kann man belgische Eier kaufen, das Stück

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