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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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beschnuppert es, oder er taucht den Schöpflöffel in den großen Topf und kostet die Suppe. Er ist wie ein guter Bluthund, der die ganze Zeit die Nase am Boden hat. Nachdem diese Präliminarien erledigt sind, er Pipi gemacht und seine Nase kräftig geschneuzt hat, geht er lässig zu seiner Schnalle hinüber und gibt ihr zugleich mit einem herzhaften Klaps aufs Hinterteil einen festen, schmatzenden Kuß. Sie, die Schnalle, habe ich nie anders als wie aus dem Ei gepellt gesehen – sogar um drei Uhr morgens, nachdem sie die ganze Nacht angeschafft hatte. Sie sieht genau so aus, als sei sie gerade aus dem Dampfbad gestiegen. Es ist ein Vergnügen, zwei so gesunde Brocken, solche Ruhe, solche Zuneigung, solchen Appetit, wie diese beiden sie an den Tag legen, zu sehen. Es ist die Abendmahlzeit, von der ich jetzt spreche, der kleine Imbiß, den sie einnimmt, bevor sie sich an ihre Pflichten macht. In einer kleinen Weile wird sie sich von ihrem großen, blonden Brocken verabschieden, sich irgendwo am Boulevard niederlassen und ihren digestif schlürfen. Wenn das Geschäft lästig, ermüdend oder erschöpfend ist, so sieht man es ihr jedenfalls nicht an. Wenn der große Kerl kommt, hungrig wie ein Wolf, legt sie die Arme um ihn und küßt ihn inbrünstig – seine Augen, seine Nase, seine Backen, sein Haar, seinen Nacken … sie würde seinen Hintern küssen, wenn das in der Öffentlichkeit möglich wäre. Sie ist ihm dankbar, das ist offensichtlich. Sie ist keine Lohnsklavin. Die ganze Mahlzeit hindurch lacht sie schallend. Man möchte glauben, daß sie nicht die geringste Sorge hat. Dann und wann versetzt sie ihm als Liebesbeweis einen schallenden Schlag ins Gesicht, einen solchen Hieb, daß ein Korrektor in die Ecke fliegen würde.
    Sie scheinen nichts zu sehen als sich und das Essen, das sie in gehäuften Ladungen in sich hineinschaufeln. Eine so vollkommene Zufriedenheit, eine solche Harmonie, ein solches gegenseitiges Einvernehmen, daß es Van Norden verrückt macht, sie zu beobachten. Besonders wenn ihre Hand in den Hosenlatz des großen Burschen huscht und sie ihn liebkost, was er gewöhnlich damit quittiert, daß er ihre Brustwarze ergreift und sie scherzend quetscht.
    Es ist noch ein anderes Paar da, das gewöhnlich um dieselbe Zeit erscheint, und sie benehmen sich genau wie zwei verheiratete Leute. Sie haben ihre Zänkereien, waschen öffentlich ihre schmutzige Wäsche, und nachdem sie es für sich und alle anderen ungemütlich gemacht haben, nach Drohungen, Verwünschungen, Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen, gehen sie zum Schnäbeln und Gurren über wie ein Paar Turteltauben. Lucienne, wie er sie nennt, ist eine üppige Platinblonde mit einem grausamen, finsteren Gesichtsausdruck. Sie hat eine volle Unterlippe, an der sie giftig nagt, wenn ihr das Temperament durchgeht. Und ein kaltes Vogelauge von einer Art verblaßten Porzellanblaus, das ihm den Schweiß ausbrechen läßt, wenn sie ihn anstarrt. Aber sie ist gutartig, Lucienne, trotz des Geierprofils, das sie uns zuwendet, wenn der Streit beginnt. Ihr Geldtäschchen ist immer wohlgefüllt, und wenn sie nur vorsichtig damit herausrückt, so deshalb, weil sie ihn nicht zu einem lockeren Lebenswandel ermutigen will. Er hat einen schwachen Charakter, vorausgesetzt, daß man Luciennes lange, leidenschaftliche Redeergüsse ernst nimmt. Er gibt am Abend fünfzig Francs aus, während er auf sie wartet, bis sie fertig ist. Als die Kellnerin kommt, um die Bestellung entgegenzunehmen, hat er keinen Appetit. «Ach, du hast wieder keinen Hunger!» knurrt Lucienne. «Pah! Du hast wohl am Faubourg-Montmartre auf mich gewartet, nehme ich an. Du hast dich hoffentlich gut amüsiert, während ich für dich schuftete. Wo warst du, du Idiot?»
    Wenn sie so in Hitze gerät, wenn sie wütend wird, blickt er ängstlich zu ihr empor, und dann, als sei er zu der Überzeugung gekommen, daß Schweigen das Beste sei, läßt er den Kopf hängen und fummelt an seiner Serviette. Aber diese kleine Geste, die sie so gut kennt und die ihr natürlich insgeheim zupaß kommt, denn sie ist jetzt überzeugt, daß er schuldig ist, steigert nur Luciennes Ärger.
    «Sag’s schon, du Idiot!» schreit sie. Und mit gepreßter, schüchterner, leiser Stimme erklärt er ihr niedergeschlagen, daß er, während er auf sie wartete, so hungrig wurde, daß er zu einem Sandwich und einem Glas Bier einkehren mußte. Das habe genügt, ihm den Appetit zu nehmen, sagt er betrübt, obwohl offensichtlich ist,

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