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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Leben spielen. Wenn ich ins Bett krieche, kommt es mir manchmal seltsam vor, daß diese ganze Begeisterung nur erzeugt wird, um die Zeit totzuschlagen, um die dreiviertel Stunde auszufüllen, die es dauert, um vom Büro zum Montparnasse zu gehen. Wir mögen die glänzendsten, die durchführbarsten Ideen zur Verbesserung von diesem oder jenem haben, aber es gibt kein Mittel zu ihrer Verwirklichung. Und noch seltsamer ist, daß das Fehlen jeglicher Beziehung zwischen Ideen und Leben in uns keinen Ärger, kein Unbehagen wachruft. Wir haben uns so angepaßt, daß, wenn uns morgen befohlen würde, auf den Händen zu gehen, wir das ohne den geringsten Widerspruch täten. Vorausgesetzt natürlich, daß die Zeitung wie gewöhnlich erscheint und wir regelmäßig unser Gehalt bekommen. Nichts sonst zählt. Nichts. Wir sind Orientalen geworden, Kulis mit weißen Stehkragen, die mit täglich einer Handvoll Reis zum Schweigen gebracht werden. Ein besonderes Merkmal des amerikanischen Schädels, las ich unlängst, ist das Vorhandensein des Sonderknochens oder os incae am Hinterkopf. Das Vorhandensein dieses Knochens, fuhr der Wissenschaftler fort, ist einem Fortbestehen der Quernaht des Hinterkopfes zuzuschreiben, die sich gewöhnlich beim Fötus schließt. Daher ist er ein Anzeichen stehengebliebener Entwicklung und weist auf eine niedere Rasse hin. «Der durchschnittliche Rauminhalt des amerikanischen Schädels», fuhr er in seiner Feststellung fort, «bleibt unter dem der weißen Rasse zurück und übersteigt den der schwarzen. Betrachtet man beide Geschlechter, so haben die heutigen Pariser einen Schädelinhalt von 1,448 Kubikzentimeter; die Neger 1,334 Kubikzentimeter; die amerikanischen Indianer 1,376.» Aus alldem kann ich nichts ableiten, da ich ein Amerikaner und kein Indianer bin. Aber es ist schlau, die Dinge so, durch einen Knochen, zum Beispiel einen os incae , zu erklären. Es stört seine Theorie durchaus nicht, zuzugeben, daß einzelne Exemplare indianischer Schädel den ungewöhnlichen Rauminhalt von 1,920 Kubikzentimetern erreicht haben, einen von keiner anderen Rasse überbotenen Schädelinhalt. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß die Pariser beiderlei Geschlechts einen normalen Schädelinhalt zu haben scheinen. Die Quernaht am Hinterkopf behauptet sich offenbar bei ihnen nicht so lang. Sie verstehen einen apéritif zu genießen, und sie machen sich nichts daraus, wenn die Häuser nicht geweißt sind. Es ist nichts Ungewöhnliches an ihren Schädeln, was Schädelmerkmale angeht. Es muß eine andere Erklärung geben für die Kunst zu leben, die sie bis zu einem solchen Grad der Vollendung entwickelt haben.
    Bei Monsieur Paul, dem bistro jenseits der Straße, ist für die Zeitungsleute ein Hinterzimmer reserviert, wo wir auf Kredit essen können. Es ist ein nettes kleines Zimmer mit Sägemehl auf dem Fußboden und Fliegen jahrein, jahraus. Wenn ich sage, es sei für die Zeitungsleute reserviert, so soll das nicht heißen, daß wir abgesondert essen. Im Gegenteil bedeutet es, daß wir den Vorzug haben, uns unter die Huren und Zuhälter mischen zu dürfen, die das zahlungskräftigere Element unter Monsieur Pauls Gästen bilden. Diese Einrichtung behagt den Burschen von oben haargenau, denn sie sind immer auf der Suche nach einem Weiberrock, und sogar die, die eine kleine Französin als feste Freundin haben, sind nicht abgeneigt, dann und wann einen Seitensprung zu tun. Die Hauptsache ist, daß man sich nichts holt; manchmal will es scheinen, als habe eine Epidemie die Redaktion heimgesucht, oder vielleicht läßt es sich durch die Tatsache erklären, daß sie alle mit derselben Frau schlafen. Jedenfalls ist es eine Befriedigung, zu sehen, wie jämmerlich sie aussehen können, wenn sie neben einem Zuhälter sitzen, der trotz der kleinen Unbequemlichkeiten seines Berufs ein vergleichsweise luxuriöses Leben führt.
    Ich denke jetzt besonders an einen großen, blonden Burschen, der die Havas-Nachrichten mit dem Fahrrad ausfährt. Er kommt immer ein wenig verspätet zum Essen, immer in Schweiß gebadet und mit schmutzverspritztem Gesicht. Er hat eine großartige, unbeschwerte Art, hereinzuschlendern, jeden mit zwei Fingern zu grüßen und schnurstracks auf das Ausgußbecken zuzugehen, das genau zwischen der Toilette und der Küche ist. Während er sich das Gesicht abtrocknet, wirft er einen raschen Blick auf die Nahrungsmittel; wenn er ein hübsches Stück Fleisch auf der Anrichte liegen sieht, hebt er es hoch und

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