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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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daß das Essen gerade jetzt die geringste seiner Sorgen ist. «Aber –» und er versucht, seiner Stimme einen überzeugenden Klang zu verleihen- «ich wartete die ganze Zeit auf dich.»
    «Lügner!» schreit sie. «Lügner! Ah, zum Glück kann ich auch lügen, gut lügen. Du machst mich krank mit deinen jämmerlichen kleinen Lügen. Warum tischst du mir nicht eine große Lüge auf?»
    Er läßt wieder den Kopf hängen, kehrt gedankenverloren ein paar Brotkrumen zusammen und steckt sie in den Mund. Worauf sie ihm auf die Hand schlägt. «Laß das! Du machst mich nervös. Du bist ein solcher Idiot. Lügner! Warte nur! Ich habe noch mehr zu sagen. Ich kann auch lügen, aber ich bin keine Idiotin.»
    Nach einer kleinen Weile jedoch sitzen sie eng beieinander, Hand in Hand, und sie murmelt zärtlich: «Ach, mein kleiner Hase, es fällt mir schwer, dich jetzt zu verlassen. Komm her, küß mich. Was machst du heute abend? Sag mir die Wahrheit, mein Kleiner … Es tut mir leid, daß ich ein so gräßliches Temperament habe.» Er küßt sie schüchtern, ganz wie ein kleines Kaninchen mit langen rosa Ohren, gibt ihr einen flüchtigen Kuß auf die Lippen, als knabbere er an einem Kohlblatt. Und gleichzeitig fallen seine hellen, runden Augen zärtlich auf ihr Geldtäschchen, das offen neben ihr auf der Bank liegt. Er wartet nur auf den Augenblick, in dem er sie unauffällig versetzen kann. Er brennt darauf, wegzukommen, sich in ein ruhiges Café in der Rue du Faubourg-Montmartre zu setzen.
    Ich kenne ihn, den unschuldigen kleinen Teufel mit seinen runden, erschrockenen Hasenaugen. Und ich weiß, was für eine Teufelsstraße der Faubourg-Montmartre mit seinen Messingschildern und seinen Gummiwaren ist, wo die ganze Nacht die Lichter blinken und durch die Straße wie durch einen Abzugskanal die Unzucht rieselt. Von der Rue Lafayette zum Boulevard zu gehen, ist wie ein Spießrutenlaufen. Sie hängen sich an einen wie die Kletten, fressen sich ein wie die Ameisen, sie beschwatzen, schmeicheln, verführen, bitten, flehen, versuchen es auf deutsch, englisch, spanisch, zeigen einem ihre zerrissenen Herzen und durchgelaufenen Schuhe und lange, nachdem man sich von den Fangarmen befreit hat, lange, nachdem das Brodeln und Zischen verstummt ist, hat man noch den Duft des lavabo in der Nase – es ist der Geruch des Parfum de Danse , dessen Wirkung nur auf eine Entfernung von zwanzig Zentimetern garantiert ist. Man könnte ein ganzes Leben in diesem kleinen Stück zwischen dem Boulevard und der Rue Lafayette verplempern. Jede Bar ist voll Leben, pulsiert, die Würfel rollen; die Kassiererinnen hocken wie die Geier auf ihren hohen Stühlen, und dem Geld, das durch ihre Hände geht, haftet ein menschlicher Gestank an. Es gibt keinen Gegenwert in der Banque de France für das Blutgeld, das hier Kurs hat, das Geld, das von Menschenschweiß glänzt, das wie ein Waldbrand von Hand zu Hand wandert und Rauch und Gestank hinter sich zurückläßt. Ein Mann, der nachts ohne Keuchen und Schwitzen, ohne ein Gebet oder einen Fluch auf den Lippen über den Faubourg-Montmartre gehen kann, ein solcher Mann hat keine Hoden, und wenn er welche hat, sollte man ihn kastrieren.
    Angenommen, der ängstliche kleine Hase gibt am Abend fünfzig Francs aus, während er auf Lucienne wartet? Angenommen, er wird hungrig und bestellt sich ein Sandwich und ein Glas Bier oder bleibt stehen und plaudert mit der Schlampe eines anderen. Ihr glaubt, er sollte diese Runde Nacht für Nacht satt haben? Ihr meint, er sollte sie über haben, davon bedrückt sein, es sollte ihn zu Tode langweilen? Ihr glaubt doch hoffentlich nicht, ein Zuhälter sei nicht auch ein Mensch? Ein Zuhälter hat auch seinen Kummer und seine Sorgen, vergeßt das nicht. Vielleicht täte er nichts lieber, als jede Nacht mit einem Paar weißer Hunde an der Ecke stehen und zusehen, wie sie spielen. Vielleicht möchte er sie, wenn er die Tür öffnet, gerne vorfinden, wie sie mit bereits ein wenig schlafmüden Augen dasitzt und den Paris-Soir liest. Vielleicht ist es gar nicht so wundervoll, den Atem eines anderen Mannes zu schmecken, wenn er sich über seine Lucienne beugt. Vielleicht ist es besser, nur drei Francs in der Tasche und ein Paar an der Ecke spielende weiße Hunde zu haben, als diese wunden Lippen zu kosten. Ich wette, wenn sie ihn fest an sich preßt, wenn sie um dieses Päckchen Liebe bittet, das nur er zu verabreichen versteht, ich wette mit euch, daß er sich dann wie tausend Teufel ins Zeug

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