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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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gegeben, in denen ich so verdammt verzweifelt war, daß ich auf die Straße gehen und in der Nachbarschaft betteln mußte.
    Wir gingen nicht in die den Touristen bekannten Amüsierlokale, sondern in die kleinen Spelunken, wo die Atmosphäre passender war und wir am Nachmittag ein Kartenspielchen machen konnten, ehe wir mit der Arbeit begannen. Der Fotograf war ein guter Kumpan. Er kannte die Stadt in- und auswendig, besonders die Festungswälle. Er sprach mit mir oft von Goethe, den Zeiten der Hohenstaufen und dem Blutbad unter den Juden während der Herrschaft des Schwarzen Todes. Interessante Themen, die immer in einer dunklen Art mit den Dingen, die er trieb, in Zusammenhang standen. Er hatte auch Drehbuchideen, erstaunliche Einfälle, aber niemand besaß den Mut, sie auszuführen. Der Anblick eines wie eine offene Kneipentür aufgebrochenen Pferdes inspirierte ihn dazu, über Dante oder Leonardo da Vinci oder Rembrandt zu sprechen. Vom Schlachthaus in Villette sprang er in einen Wagen und fuhr mich zum Trocadero-Museum, um mir einen Schädel oder eine Mumie zu zeigen, die ihn begeistert hatte. Wir erforschten genauestens das 5., 13., 19. und 20. arrondissement . Unsere bevorzugten Ruheplätze waren traurige, kleine Plätze wie die Place Nationale, Place des Peupliers, Place de la Contrescarpe, Place Paul-Verlaine. Viele dieser Orte waren mir bereits bekannt, aber dank der seltenen Würze seiner Unterhaltung sah ich sie jetzt alle in einem anderen Licht. Wenn ich zum Beispiel heute zufällig die Rue du Château-des-Rentiers hinunterschlenderte und den üblen Gestank der Krankenhausbetten einatmete, deren Ausdünstung das 13. arrondissement erfüllt, würden meine Nasenlöcher sich zweifellos wohlgefällig weiten, weil sich mit diesem Geruch nach abgestandener Pisse und Formaldehyd die Düfte unserer erdachten Reisen durch das Schlachthaus Europa, das der Schwarze Tod geschaffen hatte, mischen würden.
    Durch ihn lernte ich ein spiritistisch eingestelltes Individuum, einen Bildhauer und Maler namens Krüger, kennen. Krüger fühlte sich aus diesem oder jenem Grund zu mir hingezogen. Es war unmöglich, ihn loszuwerden, nachdem er einmal entdeckt hatte, daß ich willens war, seinen ‹esoterischen› Ideen zu lauschen. Es gibt Menschen auf der Welt, auf die das Wort ‹esoterisch› wie eine göttliche Belebung zu wirken scheint. Wie ‹installiert› auf Herrn Peeperkorn im Zauberberg . Krüger war einer jener Heiligen, mit denen es schiefgegangen ist, ein Masochist, ein Analfixierter, dessen Gesetz Vorsicht, Korrektheit und Gewissenhaftigkeit lautet, der aber an seinem freien Tag einem Menschen skrupellos die Zähne in den Rachen schlagen würde. Er hielt mich für reif zum Aufstieg in eine andere Ebene, in ‹eine höhere Ebene›, wie er es ausdrückte. Ich war bereit, in jede beliebige Ebene aufzusteigen, vorausgesetzt, daß man dort nicht weniger aß oder trank. Er lag mir dauernd in den Ohren mit der ‹Astralseele›, dem ‹Kausalleib›, dem ‹Verlassen des Körpers›, den Upanishaden, Plotin, Krishnamurti, dem ‹karmischen Kleid der Seele›, dem ‹nirvanischen Bewußtsein›, diesem ganzen Mumpitz, der wie ein Pesthauch vom Osten herweht. Manchmal geriet er in Trance und sprach von seinen früheren Inkarnationen, oder wenigstens, wie er sie sich vorstellte. Oder er erzählte seine Träume, die, soweit ich sehen konnte, völlig schal, prosaisch und kaum auch nur der Aufmerksamkeit eines Freudianers wert waren. Aber für ihn waren sie große, in ihrer tieferen Bedeutung verborgene esoterische Wunder, die ich ihm deuten helfen mußte. Er hatte sein Inneres nach außen gekehrt wie einen abgetragenen Mantel.
    Nach und nach schlich ich mich, als ich sein Vertrauen zu gewinnen begann, in sein Herz ein. Ich brachte ihn soweit, daß er mir auf der Straße nachlief, um sich zu erkundigen, ob er mir ein paar Francs leihen dürfe. Er wollte mich bei Kräften erhalten, damit ich den Übergang in eine höhere Ebene überstünde. Ich verhielt mich wie eine am Baum reifende Birne. Dann und wann hatte ich Rückfälle und gestand mein Bedürfnis nach mehr irdischer Nahrung – einen Besuch bei der Sphinx oder in der Rue St. Apolline, wo er, wie ich wußte, in schwachen Momenten einkehrte, wenn die Forderungen des Fleisches zu heftig geworden waren.
    Als Maler taugte er nichts. Als Bildhauer weniger als nichts. Er war ein guter Haushälter, das muß ich zu seinen Gunsten sagen. Und ein sparsamer obendrein. Nichts wurde

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