Wendekreis des Krebses
weggeworfen, nicht einmal das Papier, in welches das Fleisch eingewickelt war. An den Freitagabenden öffnete er sein Atelier seinen Berufskollegen. Es gab immer reichlich zu trinken und gut belegte Brote, und wenn zufällig etwas übrigblieb, kam ich am nächsten Tag, um reinen Tisch zu machen. Hinter dem Bal Bullier lag ein anderes Atelier, das ich anfing zu besuchen – das Atelier von Mark Swift. Wenn er auch kein Genie war, so war er doch jedenfalls ein Sonderling, dieser satirische Ire. Er hatte eine Jüdin zum Modell, mit der er seit Jahren zusammenlebte. Jetzt hatte er sie satt und suchte nach einem Vorwand, sie loszuwerden. Aber da er die ursprünglich von ihr mitgebrachte Aussteuer verzehrt hatte, wußte er nicht, wie er sich von ihr freimachen sollte, ohne Ersatz zu leisten. Das einfachste war, sie so schlecht zu behandeln, daß sie lieber hungern als seine Grausamkeiten ertragen würde. Sie war ein recht netter Mensch, seine Geliebte. Das Schlimmste, was man gegen sie sagen konnte, war, daß sie ihre Figur und die Möglichkeit, ihn weiter auszuhalten, eingebüßt hatte. Sie war selbst Malerin, und unter denen, die Bescheid zu wissen vorgaben, hieß es, daß sie weit mehr Talent besaß als er. Aber ganz gleich, wie schwer er ihr das Leben machte, sie war rechtschaffen. Sie duldete nie, daß jemand sagte, er sei kein großer Maler. Weil er wirklich genial veranlagt war, so erklärte sie, sei er als Mensch so unerträglich. Man sah nie ihre Bilder an der Wand, sondern nur seine. Ihre Sachen wurden in der Küche verstaut. Einmal war ich gerade da, als jemand darauf bestand, ihre Arbeiten zu sehen. Das Ergebnis war peinlich. «Schauen Sie diese Figur an», sagte Swift, indem er mit seinem großen Fuß auf eines ihrer Bilder deutete. «Der Mann, der da im Türrahmen steht, ist gerade im Begriff, zum Pinkeln hinauszugehen. Er wird seinen Rückweg nicht finden können, denn sein Kopf sitzt falsch … Und dieser Akt dort drüben … Er war ganz in Ordnung, bis sie anfing, die Möse zu malen. Ich weiß nicht, was sie sich dabei gedacht hat, aber sie machte sie so groß, daß ihr Pinsel ausrutschte und sie ihn nicht mehr davon wegbekam.»
Um uns zu zeigen, wie ein Akt aussehen sollte, holte er ein riesiges Bild hervor, das er vor kurzen fertiggestellt hatte. Es war ein Bild von ihr, ein von einem schuldbewußten Gewissen inspirierter, prächtiger Racheakt. Das Werk eines Verrückten – boshaft, kleinlich, hämisch, brillant. Man hatte das Gefühl, er habe sie durchs Schlüsselloch beobachtet, sie in einem unbewachten Augenblick festgehalten, als sie gedankenverloren in der Nase bohrte oder sich am Hintern kratzte. Sie saß dort auf dem Roßhaarsofa, in einem Zimmer ohne Ventilation, einem riesigen, fensterlosen Zimmer. Es hätte ebensogut der Vorderlappen der Zirbeldrüse sein können. Hinter ihr verlief die zum Balkon führende Zickzacktreppe; sie war mit einem Teppichläufer bedeckt, gallengrün, von einem solchen Grün, wie es nur ein erloschenes Universum hervorbringen konnte. Das Auffälligste waren ihre Hinterbacken, die schlaff und grindig waren; sie schien ihren Hintern ein wenig vom Sofa gelüftet zu haben, als wollte sie einen lauten Furz lassen. Ihr Gesicht hatte er idealisiert; es sah lieblich und jungfräulich aus, rein wie ein Hustenbonbon. Aber ihr Busen war gedunsen, geschwellt von Faulgas; sie schien in einem Menstruationsmeer zu schwimmen, als ein vergrößerter Fötus mit dem dummen Sirupblick eines Engels.
Trotzdem konnte man nicht anders, als ihn gern haben. Er war ein unermüdlicher Arbeiter, ein Mensch, der keinen anderen Gedanken im Kopf hatte als Malen. Und außerdem schlau wie ein Luchs. Er brachte mich auf den Gedanken, die Freundschaft mit Fillmore zu pflegen, einem jungen Mann im diplomatischen Dienst, der in den kleinen Kreis um Krüger und Swift geraten war. «Er soll Ihnen helfen», sagte er. «Er weiß nicht, was er mit seinem Geld anfangen soll.»
Wenn man das, was man hat, für sich selber ausgibt, wenn man sich mit seinem eigenen Geld ein gutes Leben macht, sagen die Menschen gern: «Er weiß nicht, was er mit seinem Geld anfangen soll.» Ich für mein Teil sehe keinen besseren Zweck, zu dem man Geld verwenden könnte. Von solchen Menschen kann man nicht sagen, sie seien freigebig oder geizig. Sie setzen Geld in Umlauf, das ist die Hauptsache. Fillmore wußte, daß seine Tage in Frankreich gezählt waren; er war entschlossen, sie zu genießen. Und da man sich immer besser in
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