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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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der verkauft werden soll, rührt einen zu Tränen. Während auf der anderen Straßenseite, einladend wie ein Friedhof, eine elende Bruchbude steht, die sich ‹ Hôtel du Tombeau des Lapins › nennt. Das bringt einen zum Lachen, rein zum Totlachen. Bis man merkt, daß es überall Hotels gibt für Hasen, Hunde, Läuse, Kaiser, Kabinettminister, Pfandleiher, Roßtäuscher und so fort. Und fast jedes zweite ist ein ‹ Hôtel de l’Avenir ›. Was einen noch mehr aus dem Häuschen bringt. So viele Hotels der Zukunft! Keine Hotels im Partizip der Vergangenheit, keine im Konjunktiv, keine Konjunktivitis. Alles ist altersgrau, grausig, birst vor Lustigkeit, ist von Zukunft geschwollen wie eine Zahnfistel. Trunken von diesem geilen Ekzem der Zukunft wanke ich weiter zur Place Violet, wo alle Töne malvenfarben und schiefergrau und die Türrahmen so niedrig sind, daß nur Zwerge und Kobolde sich hindurchzwängen könnten. Über dem dumpfen Schädel Zolas verqualmen die Kamine reinen Koks, während die ‹Madonna zu den belegten Broten› mit Kohlblätterohren dem Brodeln der Gaskessel lauscht, dieser schönen, gedunsenen, am Straßenrand hockenden Kröten.
    Warum fällt mir plötzlich die Passage des Thermopyles ein? Weil an diesem Tag eine Frau ihr Hündchen in der apokalyptischen Sprache des Schlachthauses ansprach und das kleine Luder verstand, was diese schmierige Schlampe von Hebamme sagte. Wie mich das deprimierte! Mehr noch als der Anblick dieser winselnden Köter, die an der Rue Brancion feilgeboten wurden, denn es waren nicht die Hunde, die mich so mit Mitleid erfüllten, sondern der riesige Eisenzaun, diese rostigen Eisenspitzen, die zwischen mir und meinem rechtmäßigen Leben zu stehen schienen. In der hübschen kleinen Gasse unweit vom Abattoir de Vaugirard (Abattoir Hippophagique), die Rue des Périchaux heißt, nahm ich da und dort Blutspuren wahr. Ganz wie Strindberg in seinem Wahnsinn auf den Fliesen der Pension Orfila Omen und böse Vorzeichen wahrgenommen hatte, so lösten sich, als ich ziellos durch diese blutbespritzte, schmutzige Gasse schlenderte, Bruchstücke der Vergangenheit ab und gaukelten träge vor meinen Augen, mich mit den schrecklichsten Ahnungen höhnend. Ich sah mein eigenes vergossenes Blut, die schmutzige Straße war mit ihm, soweit ich zurückdenken konnte, von Anfang an befleckt. Man wird in die Welt geschleudert wie eine dreckige kleine Mumie. Die Straßen sind schlüpfrig von Blut, und niemand weiß warum. Jeder wandert seinen eigenen Weg, und obwohl die Erde bis zum Verfaulen voll mit guten Dingen ist, bleibt keine Zeit, die Früchte zu pflücken. Der Pilgerzug stolpert dem Ausgangsschild zu, und es herrscht solche Panik, solche Hast zu entkommen, daß die Schwachen und Hilflosen in den Schmutz getreten werden und ihre Schreie ungehört verhallen. Meine Menschenwelt war untergegangen, ich war vollkommen allein in der Welt, und zu Freunden hatte ich nur die Straßen, und die Straßen sprachen zu mir in der traurigen, bitteren Sprache, die zusammengesetzt ist aus menschlichem Elend, aus Sehnsucht, Reue, Versagen und vergeblicher Mühe. Als ich eines Nachts durch den die Rue Broca entlangführenden Viadukt ging, nachdem ich die Nachricht erhalten hatte, daß Mona krank und in Not war, fiel mir plötzlich wieder ein, wie im Schmutz und Düster dieser versunkenen Straße Mona – vielleicht in entsetzter Vorahnung der Zukunft – sich an mich klammerte und mich mit bebender Stimme bat, ich solle ihr versprechen, daß ich sie nie, niemals, was auch immer geschähe, verlassen würde. Und nur ein paar Tage später stand ich auf dem Bahnsteig der Gare St. Lazare und sah den Zug davonrollen, den Zug, der sie entführte. Sie lehnte aus dem Fenster, ganz wie sie aus dem Fenster gelehnt hatte, als ich sie in New York verließ, und das gleiche traurige, unerforschliche Lächeln lag auf ihrem Antlitz, dieser Letzte-Minute-Blick, der soviel ausdrücken soll, daß er nur eine von einem leeren Lächeln verzerrte Maske ist. Nur ein paar Tage vorher hatte sie sich verzweifelt an mich geklammert, und dann geschah etwas, was mir sogar heute noch unklar ist: sie stieg aus eigenem Willen in den Zug und sah mich wieder mit diesem traurigen, rätselhaften Lächeln an, das mich außer Fassung bringt, das ungerecht, unnatürlich ist und dem ich aus ganzer Seele mißtraue. Und nun bin ich es, der, im Schatten des Viaduktes stehend, die Arme nach ihr ausstreckt, sich verzweifelt an sie klammert, und das

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