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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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sie ihr gutes Aussehen nicht eingebüßt hatte, würde es mir im Zweispänner vermutlich besser gehen als allein: die Welt läßt eine gutaussehende Frau nie verhungern. Auf Tania konnte ich nicht recht zählen: sie sandte schon Geld an Sylvester. Zuerst hatte ich gedacht, sie würde mich vielleicht bei sich in ihrem Zimmer aufnehmen, aber sie hatte Angst, sich bloßzustellen. Außerdem muß sie zu ihrem Chef nett sein.
    Die ersten Menschen, an die man sich wenden muß, wenn man auf den Hund gekommen ist, sind die Juden. Ich hatte im Nu drei an der Hand. Mitfühlende Seelen. Einer davon war ein ehemaliger Pelzhändler, darauf versessen, seinen Namen in der Zeitung zu sehen. Er schlug mir vor, unter seinem Namen eine Artikelserie für eine New Yorker Tageszeitung zu schreiben. Ich mußte im Umkreis des Dôme und der Coupole nach prominenten Juden Ausschau halten. Der erste, den ich auftrieb, war ein gefeierter Mathematiker; er konnte kein Wort Englisch. Ich mußte über die Schocktheorie an Hand von graphischen Darstellungen schreiben, die er auf Papierservietten kritzelte. Ich mußte die Bewegungen der Himmelskörper beschreiben und gleichzeitig die Einsteinsche Theorie abtun. Alles für fünfundzwanzig Francs. Als ich meine Artikel in der Zeitung sah, konnte ich sie nicht lesen, aber trotzdem sahen sie eindrucksvoll aus, besonders mit dem darunter gesetzten Pseudonym des Pelzhändlers.
    Ich machte in dieser Zeit viel anonyme Schriftstellerei. Als das große neue Puff am Boulevard Edgar-Quinet eröffnet wurde, bekam ich einen kleinen Sündenlohn für das Schreiben der Broschüren. Das heißt, eine Flasche Champagner und einen kostenlosen Fick in einem der ägyptischen Zimmer. Wenn es mir gelang, einen Kunden anzuschleppen, erhielt ich meine Provision, ganz so wie Kepi seine in alten Zeiten bekommen hatte. Eines Abends brachte ich Van Norden. Er wollte mich ein bißchen Geld verdienen lassen, indem er sich oben amüsierte. Aber als die Madame erfuhr, daß er bei der Zeitung war, wollte sie nichts davon hören, Geld von ihm zu nehmen. Wieder war es eine Flasche Champagner und ein Gratisfick. Es kam nichts für mich dabei heraus. Tatsächlich mußte ich für ihn die Geschichte schreiben, denn er konnte sich nicht denken, wie er bei dem Thema herumkäme, den Ort zu nennen, um den es sich handelte. So etwas passierte mir immer wieder. Ich wurde immer wieder gründlich beschissen.
    Die schlimmste Arbeit von allen war eine Dissertation, die ich für einen taubstummen Psychologen schreiben mußte. Eine Abhandlung über die Pflege verkrüppelter Kinder. Mir schwirrte der Kopf von Krankheiten, Streckverbänden, Arbeitsbänken und Freiluft-Theorien. Es dauerte mit allem Hin und Her fast sechs Wochen, und dann, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, mußte ich noch die Korrektur des verdammten Zeugs lesen. Es war französisch geschrieben, in einem Französisch, wie ich es noch nie zuvor gesehen oder gehört hatte. Aber es brachte mir jeden Tag ein gutes Frühstück ein, ein amerikanisches Frühstück mit Orangensaft, Haferflocken, Sahne, Kaffee und dann und wann zur Abwechslung Schinken mit Ei. Es war die einzige Zeit meiner Pariser Tage, in der ich dank der verkrüppelten Kinder von Rockaway Beach, East Side und allen an diese traurigen Punkte angrenzenden Durchgangsstraßen und kleinen Sackgassen ein anständiges Frühstück bekam.
    Dann geriet ich eines Tages an einen Fotografen. Er stellte für einen Wüstling in München eine Sammlung der Lasterhöhlen von Paris zusammen. Er wollte wissen, ob ich ihm mit heruntergelassener Hose und in sonstigen Stellungen Modell stehen würde. Ich dachte an die mageren, kleinen Mickerlinge, die wie Hotelpagen und Botenjungen aussehen, die man gelegentlich in den Auslagen kleiner Buchläden auf pornographischen Postkarten sieht, diese geheimnisvollen Gespenster, die in der Rue de la Lune und anderen übelriechenden Vierteln der Stadt hausen. Der Gedanke, meine Gestalt in Gesellschaft dieser Elite zur Schau zu stellen, behagte mir nicht sehr. Da mir aber versichert wurde, die Fotografien seien für eine streng private Sammlung bestimmt und gingen nach München, erklärte ich mich einverstanden. Wenn man nicht in seiner Heimatstadt ist, kann man sich kleine Freiheiten erlauben, besonders wenn es sich um ein so edles Motiv handelt wie den Verdienst des täglichen Brotes. Schließlich, wenn man es sich recht überlegte, war ich sogar in New York nicht so zimperlich gewesen. Dort hatte es Nächte

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