Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Pathologie.“
Der Staatsanwalt zog tatsächlich ein Handy aus der Tasche. Technisch war er offensichtlich auf dem neuesten Stand, nur an der nötigen Courage mangelte es. Er ging ein Stück von ihnen weg, um zu telefonieren, entfernte sich vielleicht zehn Meter weit und drehte ihnen den Rücken zu. Mit dem Handy am Ohr krümmte er sich etwas vor, so daß er wie ein schüchterner Schuljunge wirkte, der mit seiner ersten großen Liebe telefoniert. Jonas konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Das Gespräch dauerte ziemlich lange, wobei der Staatsanwalt fast ausschließlich „ja, verstehe“ sagte und mit dem Kopf nickte. Dann kam er zurück. Jonas dachte: So, eigentlich müßte er jetzt sagen: „Bedaure, unsere Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Die Leiche kommt bis auf weiteres nach Euskirchen, zur pathologischen Untersuchung.“ Statt dessen sagte er ziemlich dünn und kläglich: „Ich soll Ihnen vom Oberstaatsanwalt ausrichten, daß er das Mißverständnis bedauert. In diesem besonderen Fall können Sie die Leiche natürlich sofort mitnehmen.“
„Gut“, sagte Major Bergner nur und wandte sich schon zum Gehen.
„Langsam!“ sagte Jonas. „So einfach geht das doch nicht! Ich habe in einem Mordfall zu ermitteln. Es gibt Indizien, daß der Mörder identisch mit demjenigen ist, der vor ein paar Tagen das Wolfsrudel befreit hat...“ Wieso ließ die Staatsanwaltschaft das mit sich machen? So etwas hatte er noch nie erlebt.
Da sagte Bergner, der Jonas‘ Anwesenheit plötzlich wieder wahrzunehmen schien, einen Satz, bei dem Jonas glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen: „Es besteht kein Grund für weitere polizeiliche Ermittlungen. Die Identität des Mörders ist uns bekannt. Wir kümmern uns um dieses Problem.“
„Die Person ist ...“ Jonas verstummte. Sein Blick wanderte zwischen Bergner und dem Staatsanwalt hin und her. Doch der Staatsanwalt schwieg. Jonas wandte sich wieder Bergner zu. „Sie müssen ...“ Ruhig. Überleg dir, was du sagst. Er atmete tief durch. „Dann ersuche ich Sie hiermit offiziell um Amtshilfe!“
Bergner schüttelte den Kopf. „Bedaure.“ Dann sagte er sehr laut und eindringlich, wohl, damit auch Biggi und Hannes ihn gut verstanden: „Ich empfehle Ihnen, diesen Vorfall aus Ihrem Gedächtnis zu streichen. Es gibt keine Leiche, und es hat sich kein Mord ereignet.“
Damit drehte er sich um, ging hinüber zum BundeswehrVW und gab seinen beiden grauen Gorillas einen Wink.
„Moment!“ Jonas konnte seine Wut kaum noch zügeln, als die beiden Uniformierten zielstrebig auf die Leiche zugingen. „Das gibt‘s doch nicht!“ sagte er zu dem Staatsanwalt. „Dieser MSD kennt den Mörder und wir ... Hören Sie, das können Sie doch nicht einfach mitmachen!“
Plötzlich wurde der Staatsanwalt richtig giftig. „Ich rate Ihnen, sich diese Idee aus dem Kopf zu schlagen!“ zischte er Jonas an.
„Welche Idee?“ fragte Jonas.
„Die Idee, daß ein Zusammenhang zwischen dieser Sache hier und der Sache mit den Wölfen besteht!“
„Aber so abwegig ist diese Idee doch wohl nicht?“
„Vergessen Sie‘s! Vergessen Sie das Ganze hier, verstanden?“ Der Staatsanwalt ging zum Hubschrauber.
„Ich werde meinem Vorgesetzten über alles berichten, was hier passiert ist“, sagte Jonas, wußte aber zugleich, daß das eine ziemlich zahnlose Drohung war. Der Staatsanwalt, schon im Begriff in den Hubschrauber zu klettern, drehte sich noch einmal um und sagte herablassend: „Wenn es Sie beruhigt.“
Jonas biß die Zähne zusammen und wandte sich schweigend ab. Er sah, wie die beiden grau Uniformierten die Leiche in den Laderaum des VW-Transporters schoben. Sie hatten noch nicht einmal eine Bahre oder einen Blechsarg dabei, hatten ihren toten Kollegen einfach an Schultern und Beinen gepackt. Und die Art und Weise, wie sie ihn auf die Ladefläche packten, wirkte grob und pietätlos, als handelte es sich um eine Gliederpuppe, die für den Sperrmüll bestimmt war. Metzger, dachte Jonas schaudernd. Ohne sich noch einmal umzuschauen, setzten sie sich nach vorn zu dem Major, der bereits eingestiegen war, und fuhren davon.
Biggi kam zu ihm, mit großen Augen. Ihr Gesicht wirkte zugleich wütend und traurig. „Ich verstehe das nicht“, sagte sie kopfschüttelnd. „Du mußt unbedingt mit Weyerbusch reden.“
„Erhoff dir davon lieber nicht zu viel“, sagte Jonas. Er sah ihr Gesicht und fügte hinzu: „Doch, ich rufe ihn nachher an. Versprochen. Ich muß sowieso nachhören,
Weitere Kostenlose Bücher