Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
unter Drogeneinfluß stehe und möglicherweise gefährlich sei.
Und Jonas solle sie zurückrufen. Er erinnerte sich gut an sie. In Köln hatten sie gelegentlich miteinander zu tun gehabt, wobei er sie stets sehr kollegial und sympathisch gefunden hatte. Das unter manchen Herren im Präsidium immer noch verbreitete dumme Vorurteil, Kriminalistik sei Männersache, gehörte seiner Ansicht nach auf den Sperrmüll.
Jonas mußte an Chris denken. Sie war ein bißchen blaß um die Nase gewesen, hatte sich aber sehr tapfer gehalten. Jonas hatte sie von dem Streifenwagen, der den Arzt zurückfuhr, nach Hause bringen lassen. Ihre Vision konnte einem schon eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Zwar bemühte er sich bei seiner Arbeit stets, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber die Liebe zu Chris damals hatte sein Bild von der Wirklichkeit für immer verändert. Immerhin gab es Dinge, die standen in keinem Schulbuch und spielten auch bei der Polizeiausbildung keine Rolle, dennoch ließen sie sich nicht leugnen. Wenn man nach dem vierten oder fünften Bier nachfragte, wußte fast jeder noch so hartgesottene Polizist von Situationen zu berichten, wo ihn eine plötzliche Ahnung, ein diffuser sechster Sinn oder eine Art Schutzengel davor bewahrt hatte, eine Kugel oder ein Messer in den Rücken zu bekommen, und auch Jonas selbst hatte schon etwas Derartiges erlebt.
Wenn dieser Gablenz wirklich Lansky getötet, ihm die Halsschlagader durchtrennt hatte, dann hatte Chris in schrecklicher Gefahr geschwebt, als sie ihm nachts am Gehege begegnet war. Er schauderte bei diesem Gedanken und schüttelte den Kopf. Oder hatte, wie Chris glaubte, ein Wolf den MSD-Mann getötet? Aber sie hatte selbst gesagt, daß Wölfe sich nicht so verhielten.
„Der Hubschrauber muß jeden Moment hiersein!“ rief Biggi vom Streifenwagen herüber.
Verdammt, er war in die Eifel zurückgekehrt, um endlich wieder ein normales Leben zu führen. Wenn man lange Zeit bei der Mordkommission in einer Großstadt arbeitete, bekam man irgendwann das Gefühl, daß das Leben nur aus Perversitäten und Verbrechen bestand. Die Eifel war ihm im Vergleich dazu als Hort des Friedens erschienen, wo Gewaltverbrechen nicht zum Alltag gehörten. Er fühlte sich für die Sicherheit der Menschen hier verantwortlich und wollte alles daransetzen, daß bald wieder Frieden einkehrte.
Endlich näherte sich aus der Ferne das Brummen eines Hubschraubers, und als die Maschine auf der Lichtung landete, tauchte dieser Major Bergner plötzlich wieder neben Jonas auf, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Den Staatsanwalt, der herauskletterte, hatte Jonas noch nie gesehen. Er war jung, sehr jung, ein Neuling offenbar, groß und dünn. Die Art, wie er mit gewichtiger Miene auf Jonas und den Major zustolzierte, ließ ihn ziemlich schnöselig erscheinen. Erneut streckte Jonas die Hand aus und stellte sich mit Namen und Dienstgrad vor.
Diesmal wurde sie ergriffen. Die Hand des Staatsanwaltes fühlte sich kühl und feucht an. „Ah, Sie haben den Toten entdeckt?“ Seine Stimme klang krampfhaft um Autorität bemüht. Jonas nickte. Der Staatsanwalt streckte seine Hand dem Major entgegen, der ihr jedoch keine Beachtung schenkte. „Und Sie...“
„Major Bergner vom MSD“, half Jonas aus.
Der Major beschränkte die Begrüßungsformalitäten auf ein knappes Kopfnicken.
„MSD?“ fragte der Staatsanwalt leicht verwirrt.
„Eine Spezialabteilung des MAD“, antwortete der Major knapp und fügte hinzu: „Der Kommissar hier war der Meinung, wir sollten mit dem Abtransport der Leiche bis zu Ihrem Eintreffen warten. Eine unnötige und ärgerliche Verzögerung.“
„Mit dem Abtransport der... Wo ist sie denn überhaupt?“
Jonas zeigte sie ihm. Der Staatsanwalt stöhnte. „Mein Gott, das sieht ja furchtbar aus!“ Dann sagte er zu Bergner: „Nun, üblicherweise muß die Leiche zunächst in die Pathologie nach Euskirchen ... ich weiß nicht, ob ...“ Das klang ziemlich schwächlich und ließ nichts Gutes ahnen.
„Man hat Sie offensichtlich unzureichend informiert“, sagte Major Bergner, unverändert herablassend und aufreizend ruhig. „Sie sollten mit Ihrem Vorgesetzten telefonieren. Am besten jetzt gleich.“
Der Staatsanwalt warf Jonas einen unsicheren, beinahe hilfesuchenden Blick zu. Na, was ist, soll ich dir die Nummer deines Oberstaatsanwalts raussuchen, oder was? dachte Jonas. Ein Handy hast du ja bestimmt dabei. Laut sagte er: „Die Leiche muß auf jeden Fall in die
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