Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Gehege“, sagte Tobias.
Der Weg schlängelte sich jetzt durch dichten Nadelwald steil den Hang des Dachsberges hinauf, so daß sie keine Puste mehr zum Reden übrig hatten. Nach ein paar hundert Metern hielt Alexa keuchend an. „Uff!“ ächzte sie. „Pause... trinken!“
Tobias war ebenfalls arg durchgeschwitzt, denn es hatte nach dem Gewitter gestern überhaupt nicht abgekühlt, und die warme, feuchte Luft schien regelrecht auf den Wald herabzudrücken. Tobias sah zu, wie Alexa ihre Flasche aus der Halterung nahm. Ihre Lippen schlossen sich um den Flaschenhals, und sie trank einen großen Schluck Limo. Tobias fand, daß Alexa tolle Lippen hatte, einen richtigen Kußmund.
Nicht weit von ihnen knackte und raschelte es laut im Unterholz, als ob ein paar große Tiere eilig davonliefen. Alexa setzte die Flasche ab. „Hast du das gehört?“ fragte sie.
Tobias zuckte die Achseln. „Das waren sicher Rehe.“
„Wovor laufen sie wohl weg ...“ Alexa schaute sich um.
Tobias stöhnte. „Na, vor uns. Wovor denn sonst?“
„Und wenn die Wölfe doch noch nicht wieder im Park sind?“
Tobias grinste, legte den Kopf in den Nacken und stieß ein schauerliches Geheul aus.
„Laß doch den Scheiß!“ sagte Alexa wütend. Tobias merkte, daß sie sich zu fürchten begann. Manchmal ärgerte er sie gern ein wenig. Jetzt schwang er sich wieder aufs Rad. „Los, komm endlich!“
In diesem Moment ertönte zwischen den Bäumen ganz in ihrer Nähe ein lautes Heulen, viel schauerlicher klingend als das von Tobias. Und dann hörten sie es wieder heulen, näher vor ihnen. Tobias schlug das Herz plötzlich bis zum Hals. „Die Wölfe“, sagte Alexa leise, mit zitternder Stimme. Sie war ganz blaß geworden.
Tobias drehte sich um. Zunächst meinte er, es seien Schäferhunde, die da hinter ihnen den Weg hochrannten, genau auf sie zu. Aber nein, sie hatten graubraunes Fell und lange schmale Köpfe. Er kannte sie aus dem Park. Es waren tatsächlich Wölfe. Drei Wölfe, und sie liefen schnell.
Tobias schaute nach vorn. Da waren auch welche! Und die stürmten gleichfalls genau auf Tobias und Alexa los.
„Da zwischen den Bäumen sind sie auch!“ schrie Alexa. „Was machen wir denn jetzt?“
In Tobias‘ Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Wo kamen bloß diese ganzen Wölfe her? Das war ja das ganze Rudel aus dem Park. Tobias spürte, wie ihm etwas wie eine große, kalte, harte Klammer die Brust zusammendrückte. Ein noch nie erlebtes Gefühl: Todesangst.
„Dort vorn auf den Baum!“ Tobias hatte es gerufen, ohne nachzudenken, einfach aus dem Bauch heraus. Da war diese Eiche nah beim Weg, ein einzeln stehender Baum mit breit ausladenden Ästen. Sie ließen die Räder fallen und rannten los. Die Wölfe näherten sich sehr schnell, ohne einen Laut von sich zu geben. Nur das Prasseln ihrer Pfoten auf dem Waldboden war zu hören.
„Nun mach schon!“ Alexa, die vor Angst am ganzen Körper zitterte, rutschte vom Baumstamm ab. Tobias schob sie hoch, während er gleichzeitig die Wölfe immer näher kommen sah. Endlich schaffte sie es, sich zu dem ersten dicken Ast hochzuziehen. Tobias schwang sich auf den Ast ihr gegenüber, als der erste Wolf den Baum schon fast erreicht hatte.
Jetzt standen sie beide in knapp zwei Meter Höhe und umklammerten den Baumstamm. Tobias sah Alexas schreckgeweitete Augen. Der Wolf sprang am Stamm hoch und stützte sich mit den Vorderbeinen ab, so daß er mit der Schnauze fast Tobias‘ Füße erreichte. Tobias hörte sein lautes Schnüffeln.
„Hau ab, du Mistvieh!“ rief Tobias. Die Wölfe scharten sich um den Baum. Viele Wölfe. Sie starrten Tobias und Alexa aus ihren gelben Augen an, gaben aber keinen Laut von sich.
„Ich glaube, mir wird schlecht“, stöhnte Alexa. Sie war kreidebleich. Sie darf um Himmels willen nicht herunterfallen, dachte Tobias. Alexa umklammerte den Baum so fest, daß ihre Knöchel ganz weiß wurden. Tobias, der fest auf seinem Ast stand, löste den einen Arm vom Baumstamm und streichelte damit sanft über Alexas Schulter. „Ruhig, ganz ruhig“, sagte er, obwohl seine eigene Stimme angstvoll zitterte. „Hier oben kann uns nichts passieren. Sieh nicht runter. Schau mich an. Vielleicht hauen sie ja wieder ab, wenn sie sehen, daß sie nicht an uns rankönnen.“
In Tierbüchern hatte Tobias gelesen, daß Wölfe in der freien Wildbahn nie Menschen angreifen würden, sondern einen großen Bogen um sie machten. Aber diese Wölfe hier hatten offenbar nicht die
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