Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
tatsächlich. Sie war noch nicht rückfällig geworden. O Gott, dachte sie, wenn ich den Kollegen davon erzählte, würden sie mich für verrückt erklären!
Chris legte den Kopf in den Nacken und schaute an den himmelstürmenden Steinen der Domtürme hinauf. »Du weißt, wie sehr ich Großstädte hasse«, sagte sie. »Aber der Dom hat was. Das spüre ich jedesmal, wenn ich in Köln bin.«
»Mir ist er zu groß«, sagte Susanne. »Zu viele dunkle Steine.«
Susanne hatte Chris von der eigentümlichen Faszination berichtet, die die Kathedrale auf Karla ausübte.
»Wenn ich nur wüsste, was Karla in dieser Nacht gesehen hat.« Sie zeigte auf den Seiteneingang vor dem südlichen Querhaus. »Dort wurde die Leiche gefunden. Wenn ich Karlas Gestammel richtig deute, haben zwei Männer den Toten aus dem Dom getragen. Sie behauptet natürlich, dass es Gespenster waren. Ich hoffe sehr, dass du ihr eine genaue Beschreibung der beiden entlocken kannst. Dieser Fall ist verdammt heikel. Wir stehen mächtig unter Druck und müssen rasch Ergebnisse liefern.«
Es war schon fast dunkel, als Tönsdorf endlich mit Karla auftauchte. Verdammt, dachte Susanne plötzlich, wieso habe ich überhaupt zugelassen, dass er mit ihr in die Kneipe geht? Wenn er nun auch etwas getrunken hat?
Doch man merkte ihm nichts an und er hatte auch keine Fahne. Karlas Augen dagegen schimmerten glasig.
Susanne zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. »Karla, das ist meine Freundin Chris, von der ich dir erzählt habe. Sie hat die Gabe Dinge zu sehen, die andere nicht sehen können. So wie du auch.«
Karla wandte sich mit plötzlich erwachtem Interesse Chris zu. »Dann kannst du nachts auch die Engel und Dämonen sehen?«, fragte sie mit ihrer schleppenden, lallenden Stimme. Susanne konnte sie nicht mehr hören, nachdem sie zwei Stunden oder noch länger vergeblich versucht hatte Karla irgendeine brauchbare Aussage zu entlocken.
Chris war mit ihren einsdreiundsiebzig zwar ein ganzes Stück kleiner als Susanne, überragte Karla aber fast um einen Kopf. Zu Susannes Überraschung ging sie vor der kleinen Frau in die Hocke und schaute ihr lächelnd von unten in die Augen.
»Manchmal«, sagte sie leise. Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Der Dom ist schön, nicht wahr?«
Karla nickte. »Besonders im Dunkeln«, lallte sie. »Du bist auch schön«, sagte Chris.
Karla kicherte und schüttelte den Kopf. »Quatsch. Ich bin hässlich von der Trinkerei.«
»Dein Herz ist schön«, sagte Chris. »Ich kann es sehen. Es leuchtet.«
Karla kicherte wieder und streckte ihre Hand aus. Chris er griff sie, ohne zu zögern. »Was sagen denn die Engel und Dämonen so zu dir?«
»Ach, die Dämonen wollen die Engel vertreiben, aber das geht nicht. Sie kommen nicht voneinander los. Und die Toten finden keine Ruhe. Sie haben die Erde entweiht... «
So eine Scheiße, dachte Susanne, die schon gar nicht mehr zuhören mochte, jetzt geht diese Litanei wieder los. Die ganze Zeit hatte Karla ihr und dem armen Tönsdorf von ihren Engeln und Dämonen und toten Bischöfen erzählt...
Doch dann bemerkte sie eine Veränderung. Karlas Stimme klang fester - nüchterner. Sie hatte keine Ahnung, wie Chris das anstellte. Sie hielt einfach nur Karlas Hand und schaute ihr von unten in die Augen.
Plötzlich richtete Chris sich wieder auf. Komisch, dachte Susanne, ich weiß, dass Chris gut zehn Zentimeter kleiner ist als ich. Aber es gibt Augenblicke, da wirkt sie mindestens zwei Meter groß. Dann war Chris ihr fast ein bisschen unheimlich. Jetzt schien ihre stämmige Gestalt sehr groß vor der dunklen Kulisse des Doms aufzuragen. Vielleicht bin ich ja mit einer Bärin befreundet und weiß es gar nicht, schoss es Susanne durch den Kopf.
»Komm, Karla, zeig mir die Stelle, wo der tote Priester gelegen hat«, sagte Chris.
Hand in Hand gingen die beiden los. Susanne folgte ihnen mit Tönsdorf, der sehr skeptisch dreinblickte.
»Hier«, sagte Karla und blieb stehen. Sie blickte zu der Tür des Seiteneingangs, als könne sie sich jeden Moment öffnen.
»Die Geister haben den Mann aus der Tür dort getragen?«, fragte Chris. »Wie haben sie denn ausgesehen?«
Fasziniert beobachtete Susanne, dass Chris tatsächlich zu Karla durchdrang. Karla wirkte sonderbar klar. Und endlich, endlich beantwortete sie die Frage, die Susanne und Tönsdorf ihr immer wieder vergeblich gestellt hatten: »Heilige Männer«, sagte sie. »Heilige Männer mit schwarzen Anzügen.«
»Priester also«, sagte
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