Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Geheimnis, über das er selbst so wenig wusste, vor der Polizei und allen anderen zu bewahren. Die Loyalität, die er diesbezüglich empfand, galt in erster Linie Josef. Josef war der einzige echte Freund gewesen, den er im Domkapitel und der ganzen Kirchenhierarchie der Erzdiözese je gefunden hatte. Nach Josef war ihm Ermekeil der Sympathischste, doch ihre Beziehung war rein dienstlicher Natur. Auf der persönlichen Ebene war Ermekeil eher distanziert. Aber vielleicht brauchte man als Seelsorger diese innere Distanz, um nicht völlig vom Dienst an anderen Menschen aufgesaugt zu werden. Scharenbroich wusste, dass er selbst nicht das Zeug zu einem guten Seelsorger hatte.
Ermekeil hörte aufmerksam zu, schwieg aber bislang. »Für mich steht fest, dass Martin Oster erschlagen hat«, sagte Stuer. »Warum erzählst du der Polizei nicht, was zwischen den beiden abgelaufen ist, Scharenbroich? Früher oder später kommt es sowieso raus, und dann stürzt sich die Presse darauf. Vielleicht kann man mit der Polizei einen Handel abschließen, dass sie es unter Verschluss halten, wenn wir uns kooperativ zeigen.«
Immer wieder hatte Scharenbroich darüber nachgedacht, ob Martin der Täter sein konnte. Natürlich war es denkbar - ein Totschlag im Affekt. Liebende waren mitunter zu allem fähig. Vielleicht hatte Oster die Beziehung beenden wollen, und Martin hatte durchgedreht. Aber Scharenbroich konnte es sich einfach nicht vorstellen, dass Martin fähig war, einem anderen Menschen ein Haar zu krümmen, noch dazu einem, den er so angebetet hatte wie Josef.
»Ich glaube nicht, dass Martin der Täter ist«, sagte Scharenbroich leise und entdeckte in Stuers kalten Augen kein Mitgefühl für den Jungen. Rautenstrauch wirkte völlig desinteressiert. Das alles schien ihn schrecklich zu langweilen.
Ermekeil räusperte sich und sagte: »Ich würde mir wünschen, dass er es nicht ist, aber du musst zugeben, dass vieles dafür spricht, Scharenbroich. Diese Behauptung, ein anonymer Anrufer habe ihn hinunter in die Krypta gelockt, klingt für mich jedenfalls recht abenteuerlich.«
»Wenn nicht er, wer dann - und, vor allem, warum?«, fragte Stuer. Seine Worte schienen geradezu greifbar durch die Krypta zu schweben.
Scharenbroich wusste es nicht. Der Tod der Oberin, über den er inzwischen informiert war, sprach ebenfalls dagegen, dass Martin den Mord begangen hatte. Welches Motiv hätte Martin dafür haben sollen, auch die Oberin zu töten? Allerdings war Scharenbroich sich ziemlich sicher, dass Martin das Geheime Zunftbuch an sich genommen hatte. Der Junge war kein guter Lügner und hatte sehr ausweichend reagiert, als Scharenbroich ihn wegen des Buches bedrängt hatte. Vermutlich hatte die Faszination der Geheimnisse, in die Josef Martin eingeweiht hatte, den Jungen zu diesem Diebstahl getrieben. Scharenbroich fand es unverantwortlich, dass Josef so weit gegangen war, Martin einzuweihen. Aber das lag nur an den übersteigerten Gefühlen, in die die beiden sich verstrickt hatten: Diese Art von Liebe machte die Leute verrückt. Sie verloren ihren klaren, kühlen Kopf. Zum Mörder wurde jemand deswegen aber noch lange nicht.
»Was ist mit den weltlichen Mitgliedern der Geheimen Zunft?«, fragte Scharenbroich. »Was wissen wir über die?«
Stuer antwortete: »Da sind nur die jungen Erben der Vandenbergs, Löwens und Burmesters. Die dürften sich kaum für das Mittelalter interessieren. Sie würden dich auslachen, wenn du ihnen mit den Sünden ihrer Vorväter kommst!«
»Allerdings wäre da noch Harald Terwegen«, sagte Scharenbroich nachdenklich. Ermekeil schüttelte den Kopf. »Terwegen scheidet für mich als Verdächtiger aus. Er ist ein bodenständiger rheinischer Kaufmann und ein echtes Gewächs des Kölschen Klüngels. Jemand wie er hätte es doch wohl kaum nötig, einen Mord zu begehen.«
»Aber Terwegen hat sich immer für die Geheime Zunft interessiert«, wandte Scharenbroich ein. »Jedenfalls hat Josef das erzählt.« Er selbst kannte Terwegen kaum, war ihm nur einige Male bei offiziellen Anlässen begegnet.
Stuers pergamentartige Gesichtshaut verzog sich zu einem starren Lächeln. »So, wie man sich für Kölsche Mundart interessiert oder alte Karnevalsbräuche! Vermutlich hat er Stoff für eine Büttenrede gesucht!«
Rautenstrauch verzog das Gesicht. »Was hilft es, wenn wir hier haltlose Verdächtigungen gegen angesehene Kölner Bürger aussprechen, meine Herren?« Er schaute ungeduldig auf die Uhr. »Ich habe noch
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