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Wendland & Adrian 02 - Die Krypta

Wendland & Adrian 02 - Die Krypta

Titel: Wendland & Adrian 02 - Die Krypta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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die Fetzen von Jonas' Brief vom Boden aufsammelte, hinunter in die Krypta und verriegelten die Gittertür hinter sich. Den Domschweizern hatten sie Anweisung erteilt, sie unter keinen Umständen zu stören.
    Mit einem kurzen Seitenblick auf die Grabkammern der früheren Erzbischöfe gingen sie hinüber in den bischöflichen Gebetsraum.
    Scharenbroich, der nun als Osters künftiger Nachfolger das Kapitel leitete, fühlte sich in der neuen Rolle ziemlich unwohl. Seine Hände waren kalt, feucht und zittrig, und er schaute nervös zu dem Altarbild hoch, hinter dem sich die Geheimtür verbarg. Es zeigte einen bärtigen, machthungrig wirkenden Mann, der böse zu den Betenden herabzublicken schien. In seinen sehnigen Händen hielt er eine von einer blauen Aura umgebene Weltkugel. Zwei Mitglieder fehlten. Merkat, der frühere Generalvikar, befand sich nach einem kürzlich erlittenen Schlaganfall in einer Reha-Klinik. Und Weihbischof Lüders hatte sich mit undeutlicher Stimme telefonisch entschuldigt. Lüders war sehr wacklig und zittrig geworden. Scharenbroich hatte ihn im Verdacht heimlich zu trinken. Stuer hingegen war da, Scharenbroichs Vorgänger im Amt des Domdechanten. Stuer ließ keine Kapitelsitzung aus. Er war ein giftiger Greis geworden, mit kleinen, kalt funkelnden Augen über dürren, verkrümmten Schultern.
    Oster und Stuer hatten sich gehasst wie die Pest. Josef hatte einmal im Scherz geklagt, dass er Stuer am liebsten lebendig in der Bischofsgruft eingemauert hätte. Ebenfalls anwesend waren die »Jung-Kapitulare«, beide auch schon Mitte fünfzig: Rautenstrauch, Lehrstuhlinhaber an der Theologischen Fakultät der Universität Bonn, an die traditionell ein Kapitelsitz vergeben wurde; Rautenstrauch war bei seinen Studenten wegen seiner endlos langatmigen Scholastik-Vorlesungen gefürchtet, sagte aber in den Kapitelsitzungen selten mehr als ein oder zwei Sätze. Der einzige Lichtblick in diesem Gremium war Dompfarrer Ermekeil, den Scharenbroich sehr schätzte. In religiöser Hinsicht galt Ermekeil als erzkonservativ. Bei den innerkirchlichen Reizthemen Zölibat, Abtreibung und Priesterweihe für Frauen lag er ganz auf der Linie des amtierenden Erzbischofs. Doch Ermekeil war im persönlichen Umgang freundlich und verbindlich, und zudem als Seelsorger außerordentlich beliebt.
    »Wo sind denn nun die Schlüssel und das Geheime Zunftbuch?«, fragte Stuer, dessen Stimme einen trockenen, raschelnden Klang hatte, wie das Papier alter, vergilbter Kirchenurkunden.
    Scharenbroich starrte auf das Bild. Als sie dem amtierenden Erzbischof zum ersten Mal diesen Gebetsraum zeigten, hatten sie sich groteske Erklärungen für dieses sonderbare Altarbild ausdenken müssen. Gottlob hatte dieser Erzbischof mit kirchlicher Kunstgeschichte wenig im Sinn und beschäftigte sich lieber damit, öffentlich gegen die Abtreibungspille und andere weltliche Sünden zu Felde zu ziehen. Die Darstellung des bärtigen Mannes, ein Bildnis des Erzbischofs Konrad von Hochstaden aus dem dreizehnten Jahrhundert, passte mit der blau umrandeten Weltkugel nicht recht in die sonstige kirchliche Symbolik.
    Die früheren Erzbischöfe waren aus dem Domkapitel hervorgegangen und alle eingeweiht gewesen, der jetzige jedoch stammte »von außerhalb«, war ihnen vor zehn Jahren von einem autoritär und zentralistisch denkenden Papst aufgezwungen worden. Darum hatte das Kapitel seinerzeit unter Josefs Federführung beschlossen, das Geheimnis vor dem neuen Erzbischof zu verbergen, sodass es sich nun um eine rein Kölner Angelegenheit handelte - und Scharenbroich praktisch auf sich allein gestellt war. Oster hatte keine Gelegenheit mehr gehabt ihn einzuweihen und das Geheime Zunftbuch, in dem das alte Wissen schriftlich festgehalten war, blieb verschwunden.
    »Es gibt nichts Neues«, sagte Scharenbroich und wich Stuers bohrendem Blick aus. »Den Schlüssel, den Oster bei sich trug, hat der Mörder ihm offenbar abgenommen. Und der Zweitschlüssel befand sich, wie ihr wisst, bei dem Geheimen Buch - und ist mit ihm verschwunden.«
    Insgeheim war Scharenbroich ganz froh, dass die Schlüssel unauffindbar blieben, denn so kam er einstweilen darum herum, die Geheimtür öffnen und ins Gewölbe hinabsteigen zu müssen. Er fürchtete sich vor dem, was dort unten womöglich auf ihn wartete.
    Wieder schaute er unbehaglich zu dem Altarbild. Am liebsten hätte er die Augen des bärtigen Mannes mit einem Tuch abgedeckt. Trotz allem war Scharenbroich fest entschlossen, das

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