Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
unternehmen, sonst sind sie bald unwiederbringlich ausgestorben.« Damit war er auch schon zur Tür hinaus.
Toni zuckte die Achseln. »Muss ich wohl was verwechselt haben. Aber er ist eben ständig woanders.«
Susanne steckte ihr Handy ein. »So. Nachdem alles Erforderliche in die Wege geleitet ist, kann ich mich meinem freien Wochenende zuwenden.« Dann fiel ihr ein, dass am Nachmittag noch das Protokoll dieses Krupka aufgenommen werden musste, aber das konnte Tönsdorf erledigen. Sicher, da blieb noch die Frage, ob und warum Krupka gelogen hatte. Hielt er sich die Raubkatze vielleicht heimlich als Haustier? Nein, das wäre in der Raffinerie wohl kaum unbemerkt geblieben. Was soll’s?, dachte Susanne, ich kann mich doch auch mal auf Tönsdorfs Fähigkeiten verlassen und mich entspannen, statt immer alle ungelösten Rätsel selbst aufklären zu wollen. Hauptsache, die Schutzpolizei findet mit Harrys Hilfe die Raubkatze, sodass die Gefahr gebannt ist.
»Wann gehn wir denn mal wieder zusammen ein Bierchen trinken?«, fragte Toni beim Abschied.
»Mal sehen. Ich melde mich.«
Wer mit Toni Bier trinken ging, benötigte Stehvermögen. Kölsch wird bekanntlich in kleinen Gläsern serviert, die mit zwei, drei Schlucken geleert sind. Und noch bevor das Glas ganz geleert ist, stellt der kölnische Kellner, der so genannte Köbes, bereits das nächste hin. So ging das bis spät in die Nacht, ohne dass Toni irgendwelche Ermüdungserscheinungen zeigte. Da Toni ein echter Rheinländer war, brach sein Redefluss niemals ab. Er erzählte pausenlos Dönekes und je mehr er trank, desto besser wurden diese Geschichten. Als sie und Torsten das letzte Mal mit Toni versackt waren, hatte es Susanne, nachts um drei, nur noch mit Mühe in ihre Wohnung geschafft und den Dienst am nächsten Tag nur mithilfe größerer Mengen Aspirin überstanden. Torsten, der weniger hart im Nehmen war, hatte sich gleich ganz krankgemeldet. Nein, Bierchen trinken gehen mit Toni mochte Susanne ihrer Leber nur einmal im Quartal zumuten.
Mit einer qualmenden Zigarette im Mundwinkel stieg sie ins Auto und fuhr in Richtung Präsidium, in Richtung Schreibtisch. In Gedanken war sie aber schon draußen bei Chris in der Eifel. Es herrschte wunderbares Frühlingswetter und Susanne hoffte, dass das während des ganzen Wochenendes so blieb.
Als Dienststellenleiter der Buchfelder Polizei hatte Jonas an den Tagen, an denen er nicht für einen seiner Beamten im Schichtdienst einsprang, nachmittags um vier Uhr Dienstschluss und so konnte er sich auch an diesem Nachmittag noch eine Weile dem Garten widmen. Das empfand er als wunderbar entspannenden Ausgleich. Im Schlafzimmer auf der ersten Etage des kleinen Jagdhauses hörte er Chris bei weit geöffnetem Fenster Staub saugen. Sie hatten kürzlich einen Aqua-Sauger angeschafft. Auf dieses Wunderding war Jonas in einer Zeitungsanzeige aufmerksam geworden. Es nutzte Wasser als Filtermedium, sodass die Filterbeutel, die doch eine beträchtliche Müllmenge ausmachten, vollständig entfielen. Jonas konnte sich für solche einfallsreichen technischen Erfindungen begeistern und Chris’ ökologisch bewegtes Herz freute sich über den reduzierten Müll. Sie sang über die Arbeitsgeräusche des Supersaugers hinweg lauthals einen Tracy-Chapman-Song. Dabei traf sie zwar nicht jeden Ton, aber Jonas mochte ihre Stimme trotzdem. Während Jonas schwungvoll den Spaten schwang, näherte sich plötzlich der weiße Lieferwagen eines Paketdienstes auf dem Schotterweg und stoppte vor dem Haus. Die normale Post kam immer vormittags und andere Lieferungen gab es eher selten, weswegen Jonas gespannt beobachtete, was für ein Paket der Fahrer da wohl auslud. Es war sehr lang und schmal. Der Fahrer warf zunächst einen prüfenden Blick hinüber zu Mister Brown, Chris’ zotteligem Medizinhund, doch der beließ es bei etwas freundlichem Bellen und Schwanzwedeln. So wagte der Mann sich zu dem hohen Zaun vor, den Chris und Jonas als Schutz vor Rehen und’Wildschweinen um den Garten gezogen hatten, und fragte: »Frau Chris Adrian, Diplombiologin. Die Dame wohnt hier?«
Jonas deutete zum Schlafzimmerfenster, aus dem Chris’ Gesang hallte. »Das hört man doch, oder nicht? Kommen Sie, ich nehme das Paket für sie an.« Er wischte sich seine erdigen Hände an der Jeans ab.
Absender war die Universität München. Abteilung für Wildbiologie. Mister Brown kam mit einem Stock im Maul und stupste den Fahrer am Bein. Alter Spielhund, dachte
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