Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
teilhaben ließ, etwas zu viel für ihn, was Krupka nicht überraschte. »Na, Mario, jetzt erst Feierabend?«, sagte er.
Mario lächelte. »Ja, Herr Krupka. Sie wissen doch, Direktor Felten arbeitet praktisch rund um die Uhr. Ich musste ihm noch einige Unterlagen heraussuchen, aber jetzt hat er mich für heute nach Hause geschickt und ich glaube, ich gehe gleich ins Bett. Ich bin völlig geschafft.«
Mario wohnte beim Chef, unmittelbar neben der Raffinerie. Obwohl es für einen Junggesellen eigentlich viel zu groß war, hatte Felten das Haus gekauft, das der erste Direktor der Raffinerie dort in den fünfziger Jahren errichtet hatte. Wie Hedwig Schmitz, Feltens Haushälterin, Krupka einmal berichtet hatte, standen die meisten Zimmer des Hauses einfach ungenutzt leer. »Ein Jammer ist das«, hatte sie geklagt. Aber der Chef verbrachte nun einmal die meiste Zeit in seinem Büro oder auf Geschäftsreisen.
Auf diesen Reisen, die meistens in die Konzernzentrale nach London oder zu anderen Europetrol-Dependancen führten, legte Felten großen Wert auf Sicherheit. Dabei musste ihn stets Krupka selbst oder ein anderer für den Personenschutz ausgebildeter Mann des Werkschutzes begleiten. Auch auf das Haus des Chefs hatte der Werkschutz nachts immer ein wachsames Auge zu werfen. Und die Sicherung der Raffinerie, vor allem des Verwaltungsgebäudes, gegen Einbrüche hatte für den Chef hohe Priorität, weswegen er den Werkschutz personell und finanziell gut ausstattete. Manchmal erschien das ein wenig übertrieben. Aber nun gut, Krupka sollte es recht sein. Er führte die entsprechenden Anweisungen pflichtbewusst aus, ohne unnötige Fragen zu stellen. Vermutlich schätzte der Chef gerade das an ihm.
Er schloss die Tür seines Büros auf und kochte sich Kaffee. Natürlich hatten sie herausgefunden, wie Sempold gestorben war. Zu Krupkas Erleichterung hatte dieser ältere, dicke Polizist seine Aussage aufgenommen, nicht die Kommissarin. Nur einmal hatte er Krupka wachsam gemustert und gefragt: »Und Sie sind sicher, dass Sie absolut nichts bemerkt und gehört haben?«
Krupka hatte die Augen zusammengekniffen und genickt. Diesem Burschen gegenüber zu lügen war ihm leichter gefallen als gegenüber der Kommissarin, aber er hasste es trotzdem. Den ganzen Nachmittag hindurch hatte ein Trupp der Bereitschaftspolizei das Gelände der Raffinerie und die Umgebung abgesucht, unterstützt von einem Experten des Kölner Zoos, ohne eine einzige Spur der schwarzen Raubkatze zu finden. Inzwischen waren sie wieder abgezogen, bis auf sechs Männer mit Betäubungsgewehren, die man zur Unterstützung von Krupkas Leuten abgestellt hatte.
Da ihm nun drei Mann fehlten, musste Krupka sich erneut eine Nacht um die Ohren schlagen, aber es war ihm ohnehin wohler dabei, hier in der Raffinerie zu sein. An ihm nagte das unbehagliche Gefühl, dass die Sache noch nicht ausgestanden sei. Immer wieder fragte er sich, wie dieses Vieh in die Raffinerie gekommen sein konnte, was es hier verloren hatte. Eine Raubkatze gehörte in den Dschungel!
Und er machte sich Gedanken über den Chef. Nach seiner Rückkehr aus dem Polizeipräsidium war Krupka sofort zu ihm gegangen und hatte ihm mitgeteilt, dass die Polizei inzwischen von der Raubkatze wusste – wie zu erwarten gewesen war. Darauf hatte der Chef das Versprechen, das er Krupka abverlangt hatte, gar nicht mehr erwähnt und nur mit der gewohnten Entschiedenheit gesagt: »Gut. Dann informieren Sie Ihre Männer, Krupka. Und halten Sie die Augen offen, damit nicht noch etwas passiert.«
»Glauben Sie denn, dass sich die Raubkatze noch in der Raffinerie aufhält, Chef? Oder ... haben Sie eine Ahnung, woher sie stammen könnte?«
Da schien die Autorität, die der Chef sonst stets ausstrahlte, plötzlich zu schwinden. Seine Schultern sanken herab und auf seinem Gesicht erschien ein geradezu gequälter Ausdruck, wie ihn Krupka bei ihm noch nie gesehen hatte. »Wenn ich das wüsste«, hatte er leise, mehr zu sich selbst gesagt, »wenn ich das nur wüsste.« Er schien Krupkas Anwesenheit vergessen zu haben und der war rasch und leise hinausgegangen, peinlich berührt, denn es gefiel ihm nicht den Chef so zu sehen.
Es klopfte. Becker, der Ranghöchste der sechs Polizisten, kam herein, ein hagerer, nicht sonderlich helle wirkender Mann Anfang dreißig. »Ich denke, wir sollten uns so aufteilen, dass immer einer meiner Männer mit einem von Ihnen zusammen Wache geht, einverstanden, Herr Krupka?«
»Ja. Eine gute
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