Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
Jonas.
»Beißt der?«, fragte der Fahrer misstrauisch.
Jonas grinste. »Bei schönen Wetter will er nur spielen. Meistens.«
»Nein, dafür habe ich nun wirklich keine Zeit!« Er ignorierte den Hund und eilte zu seinem Wagen zurück.
Der Mann hatte eine ausgesprochen ungesund wirkende Hektik ausgestrahlt. »Pech gehabt, alter Junge«, sagte Jonas zu Mister Brown, der sich beleidigt mit dem Stock trollte.
Während der Lieferwagen davonbrauste, brachte Jonas das Paket ins Haus. Chris saugte weder gern noch oft, aber wenn, dann heftig. Sie war barfuß, trug eine über den Knien abgeschnittene Jeans und ein T-Shirt, das hochgerutscht war und den Blick auf sinnliche Speckrollen freigab.
»Post für dich!«, übertönte Jonas den Staubsauger.
Sie hob den Kopf und schaute ihn an, erhitzt und rotwangig vor Eifer. »Ah! Das Betäubungsgewehr!«
»Betäubungsgewehr?«, fragte Jonas erstaunt.
»Na! Für die Luchse!«
»Luchse?«
Chris schaltete den Staubsauger ab. »Hab ich dir etwa gar nichts davon erzählt?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Sie schnaufte, wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Dann streckte und reckte sie den Rücken.
Was für ein Busen, dachte Jonas liebevoll.
»Entschuldige. Das kommt nur, weil ich immer so viele Sachen gleichzeitig mache! Ich muss total aufpassen, dass ich mich dabei nicht verzettele. Ich dachte wirklich, ich hätte es dir erzählt. Also: Die Münchner starten ein Luchs-Auswilderungsprogramm in den deutschen Mittelgebirgen. Und da haben sie bei uns angefragt, weil dieser Wald hier der größte zusammenhängende Privatwald in der Eifel ist. Ist doch toll, nicht?«
»Und Günter, ist der einverstanden?« Günter Scheeven war Chris’ Arbeitgeber, dem sie das Leben hier im Paradies verdankten.
»Ist Feuer und Flamme. Er und Laurenz freuen sich schon darauf, bei ihren Schäferstündchen am Wochenende die Luchse zu beobachten.«
»Und die Luchse, wann kommen die?« Jonas war ein klein wenig beleidigt, dass er davon als Letzter erfuhr, spürte aber, dass es nicht böse gemeint war. Chris’ Kopf war einfach übervoll mit allem Möglichen. Luchse? Das klang interessant.
»Nächsten Monat. Erst mal schicken sie mir die Ausrüstung. Sendehalsbänder bekommen wir auch noch. Ist doch aufregend, stimmt’s?«
Jonas nickte und zwinkerte ihr zu. »Wenn wir sie mal gar nicht finden, kann ich ja Verstärkung aus der Luft in Gestalt unseres Polizeihubschraubers anfordern.«
Chris kam dicht zu ihm und gab ihm einen Kuss. »Tut mir echt Leid, dass ich dir’s erst jetzt erzähle, aber ich werde mich bessern. Jetzt pack ich das Gewehr erst mal aus und stell es in den Waffenschrank, ehe ich weitersauge.« An der Tür drehte sie sich zu ihm um. »Aber dass Susanne morgen kommt, habe ich dir gesagt?«
Jonas nickte.
Chris strahlte. »Ich freu mich auf sie.«
Wenn Chris sich freute, freute ihn das auch. Schon allein deshalb, weil eine schlecht gelaunte oder gar wütende Chris ziemlich heftige Ausschläge auf der nach oben offenen Richter-Skala verursachen konnte. Da fand er es weitaus angenehmer und genussvoller, wenn Chris’ mächtige emotionale Ströme in eine freudige Richtung flössen.
Und Jonas mochte Susanne. Er kannte sie noch aus der Zeit, als sie beide ihr kriminalistisches Handwerk beim seligen Kölner Hauptkommissar Moeller erlernt hatten, der inzwischen längst in die ewigen Polizisten-Jagdgründe eingegangen war. Manchmal bedauerte Jonas, dass er hier in der Eifel seine beim alten Moeller erworbenen detektivischen Fähigkeiten nur selten einzusetzen brauchte – was genau besehen natürlich für die Eifel sprach und nicht gegen sie. Köln bot da für Susanne ein weitaus spannenderes polizeiliches Betätigungsfeld.
Andererseits war das Zusammenleben mit Chris quasi eine Garantie dafür, immer wieder in wirklich haarsträubende Abenteuer verwickelt zu werden. Chris schien solche Verwicklungen magisch anzuziehen. Da nun schon verdächtig lange Zeit friedvoller Alltag geherrscht hatte, war Jonas sicher, dass das nächste dieser Abenteuer, rein statistisch gesehen, nicht mehr lange auf sich warten lassen konnte. Womöglich bekam er schon bald mehr Abwechslung von seiner Alltagsroutine, als ihm lieb war ...
Gegen acht Uhr abends ging Krupka gerade zu seinem Büro, als ihm auf dem Flur Mario begegnete. Ihm fiel auf, dass der Junge seit ein paar Tagen ein wenig blass wirkte. Schatten unter den Augen. Vermutlich war der stressige Arbeitsrhythmus, an dem der Chef ihn
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