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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Weg. Günter verbrachte jedes zweite Wochenende in seinem Wald, in einer liebevoll renovierten Mühle, die zwei Kilometer unterhalb des Jagdhauses am Bach lag, neben alten Fischteichen. Die Teiche hatten die Scheevens im neunzehnten Jahrhundert angelegt und Jonas durfte dort seiner Angelleidenschaft frönen. (Chris zuliebe ließ er aber immer genug Fische für die Graureiher übrig. Für sie waren diese Vögel magisch, wie aus einem Traum.)
    Wenn Günter da war, wollte er nicht, dass gejagt wurde, der alte Schöngeist. Denn diese Wochenenden waren ganz der Liebe geweiht. Beim Gedanken daran musste Chris unwillkürlich schmunzeln. Günter war bisexuell veranlagt. Lange hatte er seine Neigung unterdrückt, um der Familienehre keine Schande zu machen. Er hatte vier Kinder gezeugt und jahrelang den treu sorgenden Familienvater und Gatten gegeben. Doch eines Tages kam die Stunde der Wahrheit in Gestalt von Laurenz, auch ein Schöngeist, ein paar Jahre jünger als Günter. Auch wohlhabender Familienvater. Die beiden trafen mit ihren Familien eine Vereinbarung, die man in solchen Kreisen wohl ein »Gentlemen’s Agreement« nannte: Sie würden weiterhin treu sorgende Familienväter bleiben, doch jedes zweite Wochenende zogen sie sich zu zweit in die Eifel zurück.
    Hier spazierten sie dann glücklich lächelnd Hand in Hand durch Günters grünes Paradies.
    Chris hatte die beiden tief ins Herz geschlossen. Sie würde tun, was in ihrer Macht stand, damit dieses Paradies paradiesisch blieb. Und dort, wo zurückliegende ökologische Misshandlungen zu heilen waren, wollte sie dafür sorgen, dass es sogar noch paradiesischer würde.
    Sie kehrte in ihren normalen Bewusstseinszustand zurück und öffnete die Augen. »Gut, du alter Keiler. Wir treffen uns also im Morgengrauen.« Dann machte sie sich auf den Rückweg. Ihr Magen knurrte mal wieder. Sie freute sich auf ein gemütliches Abendessen draußen vor dem Jagdhaus, in der Abendsonne.
    Chris nahm sich vor, viel Spaß zu machen und Susanne zum Lachen bringen, um sie ein wenig von ihrem Kommissarinnen-Stress abzulenken. Diese mysteriösen Todesfälle; ein schwarzer Jaguar in einer Ölraffinerie! War da wohl Magie im Spiel? Welche Verbindung bestand zwischen dem Dschungel und einer solchen Industrieanlage?
    Das jugendliche moralische Ungestüm, mit dem Chris früher die Welt sauber in Schwarz und Weiß eingeteilt hatte, war ihr ein wenig abhanden gekommen. Damals hätten Leute, die in einer Ölraffinerie arbeiteten, sich für sie ganz eindeutig auf der falschen Seite befunden. Solches Moralisieren fiel ihr zunehmend schwerer. Das Dieselöl, das ihren geliebten Landy antrieb, stammte vielleicht aus jener Raffinerie. Inzwischen hatte sie gelernt, dass die Dinge längst nicht so klar und einfach waren, wie sie lange geglaubt hatte. Schließlich war sie ja auch nicht mehr ganz so jung und ungestüm, denn im vorigen Jahr war sie immerhin schon dreißig geworden.
    Als Schamane musst du immer beide Seiten der Medaille sehen, sonst taugt deine Arbeit nichts, hatte Silver Bear einmal zu ihr gesägt, der Auto fuhr und das Flugzeug benutzte, wenn er dies für sinnvoll erachtete – und auch wenn es ihm Freude machte. Auf die Freude hatte er ohnehin immer großen Wert gelegt.
    Sie hob den Kopf. Zwei Bussarde kreisten über den Wipfeln. Mit ihren weithin hallenden Rufen holten sie Chris in die Gegenwart. Hier und jetzt findet das Leben statt, mahnte sie sich, nicht so viel Grübeln! Chris ging nach Hause.

4. KAPITEL
    Das Abendessen verlief fröhlich, sodass Susanne für eine Weile die mysteriösen Toten vergaß. Chris erzählte einige herrlich komische Klatschgeschichten aus Buchfeld und seiner Umgebung, die an schrulligen Originalen nicht eben arm zu sein schien. Dann berichtete sie davon, dass sie im Morgengrauen auf Keilerjagd gehen würde.
    »Also ist es jetzt so weit«, sagte Jonas. Susanne hatte den Eindruck, dass er besorgt klang, dies aber möglichst gut zu verbergen versuchte.
    Chris nickte. »Er ruft mich. Es muss sein.«
    Chris’ sonderbare Beziehung zu den Tieren würde für Susanne vermutlich immer rätselhaft bleiben. Und faszinierend. »Du meinst, du spürst, dass er abgeschossen werden möchte? Klingt ja echt bizarr.« Susanne schüttelte unwillkürlich den Kopf.
    Chris schien einen Moment nach den richtigen Worten zu tasten. »Na ja. Ich weiß nicht, ob er bewusst den Tod sucht. Letztlich haben doch alle Geschöpfe einen starken Überlebenswillen. Es passiert wohl eher

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