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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Leben – und der erfreuliche Nebeneffekt: glückliche Schweine! Für Schweine – Wild- und Hausschweine gleichermaßen – hatte Chris sowieso eine Schwäche. Es waren faszinierende Tiere und obendrein schmeckten sie gut.
    Dabei fiel ihr der Keiler ein. Zu ihren Aufgaben als Hüterin von Günters Land gehörte auch die Jagd. Im Gegensatz zu seinen Ahnen, die ihren riesigen Grundbesitz vor allem genutzt hatten, um ihrer Jagdleidenschaft zu frönen, war Günter dem alten familiären Brauch als junger Mann nur widerwillig gefolgt und hatte ihn schließlich ganz aufgegeben. Er war ein zart besaiteter, sehr romantisch veranlagter Schöngeist, dessen ausgeprägte Abneigung gegen das Töten ihn inzwischen zum Vegetarier hatte werden lassen. Andererseits sah er aber ein, dass die Reh-, Hirsch- und Wildschweinbestände in seinem Wald reguliert werden mussten, und da es in der Eifel keine Luchse, Wölfe und Bären gab, die natürlicherweise für diese Aufgabe zuständig gewesen wären, musste es ein Mensch tun.
    »Ich will nicht, dass in meinem Wald irgendwelche Halali blasenden Freizeitjäger herumtrampeln«, hatte Günter zu Chris zu gesagt. »Ich will, dass du das machst. Auf indianische Art. Wie du’s in Kanada gelernt hast. Soweit ich gehört und gelesen habe, verstehen die Indianer es, auf spirituell anständige Weise zu jagen. In Würde, sodass der Seele des getöteten Tieres Achtung gezollt wird.«
    Chris hatte sich tief geehrt gefühlt, dass er ihr auch diese Aufgabe anvertraute, und seit diesem Tag waren sie gute, enge Freunde. Chris wusste, dass sie eine versierte Jägerin war. Sie hatte von Silver Bear und seinen Leuten alles gelernt, was es über die indianische Art des Jagens zu wissen gab, bei der Jäger und Jagdbeute als Teil ein und desselben Kreislaufs des Lebens gesehen wurden. Und sie war eine ausgezeichnete Schützin. Sie hatte Elche und Wapitis erlegt und sogar einen Bären. (Bei dem Bären hatte es auf Messers Schneide gestanden - fast wäre die Sache anders herum ausgegangen; hinterher war es ihr vorgekommen, als sei ihr ein neues Leben geschenkt worden; vielleicht war deshalb heute eine Bärin ihr Krafttier.)
    Als Silver Bears Tochter mit ihrem Mann und den beiden Enkeln im vorigen Jahr bei Chris zu Besuch gewesen war, hatte sie ihr das Gewehr des alten Medizinmannes mitgebracht, in dessen Schaft Silver Bears Vater vor vielen Jahrzehnten schamanische Symbole eingraviert hatte. Mit diesem Gewehr übte Chris seither nach indianischer Art auf Günters Land die Jagd aus. Sie schoss so wenig wie möglich. Sie beobachtete die Tierbestände genau, wusste, wie viele Rehe, Hirsche und Wildschweine es gab. Wenn sie jagte, war das ein heiliges Ritual. Immer ließ sie einen Teil der Beute im Wald zurück, als Gabe für die wilden Tiere, und niemals wurde das Fleisch der erlegten Tiere verkauft. Was sie nicht für den Eigenbedarf nutzte, verschenkte sie an Freunde und an bedürftige Familien in Buchfeld. So wurde dem Tier, das sein Leben gegeben hatte, Achtung erwiesen.
    Ja, dieser Keiler. Er war reif, das spürte sie deutlich. Er rief sie schon seit einigen Tagen. Sie blieb stehen und schaute sich um. Ein Eichelhäher flog dicht an ihrem Kopf vorbei, setzte sich auf einen Ast, beäugte sie neugierig, ehe er sich wieder davonmachte. Sie mochte diese großen Vögel mit ihrem geradezu tropisch prachtvollen Gefieder – auch wenn sie keine sehr melodischen Stimmen besaßen und manchmal einen schrecklichen Lärm veranstalteten. »Mal sehen, ob du eine Botschaft für mich hast«, flüsterte sie und ging langsam zu dem Baum, wo der Häher sich einen Moment niedergelassen hatte. Aufmerksam betrachtete sie dort den Boden. Da sah sie die Spuren des Keilers. Er war ein riesiges Tier, das tiefe Eindrücke im feuchten Waldboden hinterließ. Und es handelte sich bei ihm um einen übellaunigen alten Burschen, der vor ein paar Wochen fast einen von Chris’ Waldarbeitern massakriert hätte. Der Ärmste hatte sich gerade eben noch auf einen Baum retten können.
    Chris schloss die Augen und nahm Kontakt mit ihrer inneren Bärin auf, aktivierte ihre Bären-Sinne, die Witterung vor allem, aber auch andere subtile schamanische Sinne, für die es keinen Namen gab.
    Wieder empfing sie den deutlichen Eindruck, dass der Keiler sie rief. Sie glaubte auch einen inneren Blick auf die Stelle zu erhaschen, wo sie einander begegnen würden. Im Morgengrauen.
    An diesem Wochenende hielt sich Günter in Köln auf, der Jagd stand also nichts im

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