Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
Raffineriedirektor ja nicht gerade ...«
Chris kicherte. »Na ja – solange er keine Ölflecken im Bett hinterlässt.«
Susanne gab ihr einen freundschaftlichen Rippenstoß. Im selben Moment fasste sie einen Entschluss. »Jagst du eigentlich grundsätzlich allein?«
Chris schaute sie erstaunt an. »Du willst mitkommen?«
Warum, wusste Susanne selbst nicht so genau. Es trieb sie dazu gewiss nicht das Interesse für die Jagd an sich. Aber da gab es diese tiefe Verbundenheit zwischen Chris und ihr, obwohl sie doch eigentlich so grundverschieden waren. Sie wollte einfach diesen ihr bislang fremden Aspekt von Chris’ Leben kennen lernen. »Wenn ich darf.«
»Du verstehst bestimmt was von der Jagd. Ist schließlich dein Job, Verbrecher zu jagen.« Sie drückte Susanne einen Moment an sich. »Find ich toll, dass du auch das mit mir teilen möchtest, obwohl es sicher nicht gerade der schönste Teil meines Lebens ist.«
Chris versprach Susanne am Morgen rechtzeitig zu wecken. In dem kleinen Haus gab es kein Gästezimmer und so schlief Susanne wie gewohnt im rauchig nach Feuerholz duftenden Wohnzimmer auf dem uralten, aber angenehm festen Ledersofa, das vermutlich schon den Jagdgästen von Günter Scheevens Großvater als Nachtlager gedient hatte.
Als Chris sie behutsam weckte, war es draußen noch fast dunkel. Durch das offene Fenster drang der feuchte Duft des Waldes herein. Sie nahmen nur ein kleines Frühstück zu sich. Susanne trank Kaffee, Chris ihren Kräutertee. (Susanne begriff nicht, wie frau davon wach werden konnte). Dazu gab es außerordentlich gehaltvolle, saftige kleine Haferkuchen mit Rosinen, von Chris selbst gebacken – ein aus Kanada mitgebrachtes Rezept.
Chris stellte eine große Plastikwanne in den Laderaum des Landcruisers. Fasziniert betrachtete Susanne Chris’ Gewehr. Von Waffen verstand sie etwas, das gehörte zu ihrem kriminalistischen Fachwissen. Außerdem schoss sie gern, auf der Schießbahn, versteht sich. Es gab im ganzen Präsidium nur einen Beamten, der sie beim Übungsschießen ab und zu besiegte: ihr Chef, Kriminalrat Antweiler. Ein Mensch mit ruhigeren Händen als er war ihr noch nicht begegnet.
»Du gehst mit einer einschüssigen Kipplaufbüchse auf Wildschweinjagd?«, fragte sie erstaunt. »Ist das nicht ein bisschen leichtsinnig? Was ist, wenn der erste Schuss nicht voll ins Schwarze trifft? Mit einem angeschossenen Keiler ist bestimmt nicht zu spaßen! Wenn du dann erst nachladen musst ...«
»Das ist ein indianisches Gewehr«, sagte Chris, während Susanne fasziniert die geheimnisvollen Gravuren auf dem Schaft betrachtete. »Und ich jage auf indianische Art. Ich brauche nur einen Schuss.«
Susanne pfiff durch die Zähne. »Du hast Nerven! Ich hätte meine Dienstpistole mitbringen sollen ...«
Chris trat dicht zu ihr und drückte ihr etwas Kaltes, Metallisches in die Hand. Susanne spürte die vertrauten, harten Formen einer Sig Sauer. »Kleine Leihgabe von Jonas. Na ja, wenn ich auf Wildschweinjagd gehe, macht er sich immer ein bisschen Sorgen um mich. Völlig unbegründet, natürlich!«
Sie schaukelten zunächst ein Stück mit dem Landcruiser auf einem schmalen, äußerst unebenen Weg immer tiefer in den Wald hinein. Chris erzählte von einer neuen CD, die sie sich gerade gekauft hatte. »David Gray, der macht echt interessante Musik. Besonders das erste Stück auf der CD ist richtig Klasse: ›Please forgive me‹. Hast du eigentlich irgendwas gehört, ob Tracy wieder auf Tournee geht? Schade, dass das bei ihr immer so endlos lange dauert, bis sie wieder nach Deutschland kommt!«
Susanne hatte nichts gehört. Tracy Chapman war Chris’ absolute Lieblingssängerin. Als Tracy im Mai des vergangenen Jahres in Köln in der Philharmonie aufgetreten war, hatte Susanne Karten besorgt und Chris eingeladen. Sie war völlig aus dem Häuschen gewesen und auch Susanne hatten das Konzert und Tracys neueste CD sehr gut gefallen.
»Bei dem Rhythmus, in dem sie CDs rausbringt und tourt, wirst du dich wohl noch zwei, drei Jahre gedulden müssen.«
»Mist! Vielleicht sollte ich mal in die USA fliegen. Da tritt sie viel öfter auf.«
»Hat denn eine Schamanin und Hüterin des Landes nicht auch mal Urlaub?«, fragte Susanne.
Chris hielt den Landy mit einer Hand in den tiefen Fahrspuren des Waldweges und zwirbelte mit der anderen ihren Zopf. »Hm. Darüber hab ich noch nie nachgedacht. Bisher war ich hier so glücklich, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin zu verreisen. Aber
Weitere Kostenlose Bücher