Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
ausgedehnte, bewegliche Landschaft von Chris’ Körper versetzte ihn in immer neues Erstaunen. Er spürte, wie sein Glied steif wurde. Verdammt, dachte er und musste grinsen. Die Brotscheiben hüpften aus dem Toaster. Jonas stellte Tee und Kaffee auf den Tisch, setzte sich, bestrich seinen Toast mit Biobutter und schaute zu, wie sie dahinschmolz. Anfangs hatte er befürchtet, Chris könnte immer weiter zunehmen und irgendwann durch keine Tür mehr passen, doch seit einigen Monaten hielt sie ihr Gewicht. Es hatte sich bei sechsundneunzig Kilo eingependelt. Das war bei Chris’ Körperlänge von hundertdreiundsiebzig Zentimetern gewiss eine Menge, aber nach Jonas’ Empfinden doch noch angenehm weit von wabbeliger Unförmigkeit entfernt. Chris wabbelte überhaupt nicht. Sie besaß einen kräftigen Knochenbau, wie die Polynesierinnen, die Gauguin gemalt hatte, und war einfach sehr prall und rund. Sie widmete sich dem Essen mit einer sinnlichen Lust und Hingabe, die ihn an die barocken Stillleben denken ließ, wie sie in Köln im Wallraff-Richartz-Museum hingen, Gemälde, auf denen sich eine üppige Fülle an Obst, Käse, Fisch und Wildbret dem Betrachter darbot.
Jonas trank einen Schluck Kaffee. Gleich würde sie in die Küche stapfen, die runden Wangen von der Bewegung an der frischen Luft gerötet, großer Busen und großer Bauch, über das Frühstück herfallen und ihm mit vollem Mund von ihrem Traum erzählen, ohne dass er sie danach fragen musste.
In der Tat befand sich Chris bereits auf dem Rückweg zum Haus, von ihrem Appetit geleitet. Sie liebte es, mit nackten Füßen zu gehen, und das taunasse Gras war angenehm kühl unter ihren Fußsohlen. Das kleine Jagdhaus lag oberhalb eines Baches mitten im Wald, am Rand einer Lichtung, auf der Chris und Jonas einen großen Gemüsegarten angelegt hatten. Der Morgennebel hob sich bereits, bald würde die Sonne herauskommen. Chris hatte sich für einen Moment mit geschlossenen Augen an eine Buche gelehnt, begleitet vom Schimpfen eines Eichelhähers irgendwo oben in den Wipfeln. Aber es war ihr nicht gelungen Klarheit in ihren Traum zu bringen. Silver Bears Geraune aus der Geisterwelt blieb rätselhaft, sosehr sie sich auch über das Wiedersehen mit ihm freute, und was hatte es nur mit der schwarzen Raubkatze auf sich? Chris hatte sich gewaltig erschrocken, als das zähnefletschende Vieh sie plötzlich angesprungen hatte. Oder hatte der Angriff gar nicht ihr gegolten, war sie nur Zeugin des Geschehens gewesen? Die große Katze war trotz allem sehr schön anzuschauen gewesen, geschmeidig, mit schimmerndem schwarzen Fell.
Chris hatte ihr Krafttier, die Bärin, beauftragt, drüben in der Geisterwelt um eine klarere Botschaft zu bitten, aber sie wusste aus leidvoller Erfahrung, dass diese Bitte nur selten Gehör fand. Die Wesen, die jenseits des Vorhangs für schamanische Botschaften zuständig waren, besaßen einen ziemlich bizarren Sinn für Humor. Doch Chris war fest entschlossen, sich dadurch nicht die Vorfreude aufs Frühstück verderben zu lassen.
Bislang kannte Susanne Wendland die Europetrol-Raffinerie in Köln-Rheindorf nur als weithin sichtbare, eindrucksvolle Kulisse neben der Autobahn. Besonders nachts, im Licht tausender von Lampen, hatte diese Kulisse mit ihren dampfenden Schloten und lodernden Abfackelungsflammen etwas Unheimliches. Sie fuhr am Tor vor und hielt dem Pförtner ihren Dienstausweis hin. Tönsdorf auf dem Beifahrersitz befand sich noch im Halbschlaf.
Die ersten Strahlen der Morgensonne schimmerten auf Kesseln und Rohren, aber Susannes ästhetische Begeisterung für Industrieanlagen hielt sich in Grenzen. Außerdem roch es hier stechend wie nach faulen Eiern. Da gefiel es Susanne draußen in der Eifel entschieden besser. Sie freute sich darauf, das kommende freie Wochenende bei Chris im Wald zu verbringen und morgens von den Vögeln geweckt zu werden. Beim Gedanken an Chris musste Susanne unwillkürlich lächeln. Wir sind schon ein witziges Freundinnen-Pärchen, dachte sie. Eine dick gewordene Waldhexe, die mit Vögeln und Eichhörnchen redet, und eine knochige, workaholische, kettenrauchende Großstadt-Kriminalerin!
Langsam lenkte sie den Wagen zwischen dem endlos erscheinenden Gewirr aus Kesseln und Leitungen hindurch und musste daran denken, dass auch das Benzin, das ihren Dienst-Opel befeuerte, vermutlich hier produziert worden war. Mitsamt ihrem Wagen kam sie sich hier etwas ameisenhaft vor. Neben der Claus-Anlage, hatte Torsten Mallmann
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