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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Chris«, flüsterte er. »Meine Lieblingsschülerin. Du erinnerst dich noch nicht, doch die Erinnerung wird kommen. Ich will dir helfen diese Last zu tragen. Und da sind noch andere Geisthelfer, die dir ebenfalls bei der Erfüllung deiner Bestimmung beistehen können. Aber es ist erforderlich, dass du deinen Stolz ablegst, der dich glauben lässt, alles allein schaffen zu müssen. Du kennst das Gesetz, unter dem die Geisthelfer stehen: Sie dürfen dir nur zur Hilfe kommen, wenn du sie darum bittest. Schon bald wirst du einen heiligen Gegenstand in deinen Händen halten, der vor langer, langer Zeit geschaffen wurde. Er wird wie ein Katalysator für deine Erinnerungen sein.«
    »Ich verstehe nicht, wovon du redest, Silver Bear«, sagte Chris oder hörte sie sich sagen, ihr Traum-Ich. Obwohl ihr Körper schlief, war der größte Teil ihres Geistes hellwach. Sie spürte, dass ihr Herz aufgeregt klopfte. Und sie wusste, dass Silver Bears Gegenwart so wirklich war, als wäre er im hellen Morgensonnenschein in die Küche spaziert und hätte sich zu ihr und Jonas an den Frühstückstisch gesetzt. »Woran soll ich mich erinnern?«
    »Die Zukunft liegt hinter uns. Das habe ich zu Lebzeiten nur geahnt, aber nicht wirklich begriffen. Du bist als Schamanin ein Abendstern, meine Chris, kein Morgenstern.« Sie spürte, wie er ihr sanft mit den Fingern über die Wange strich, dann war er verschwunden und der fremde Sternenhimmel ebenfalls. Sie sah einen modernen Raum. Ein großes Büro. Sie sah einen Mann, dessen Körperhaltung und Gesichtsausdruck Macht ausstrahlten. Der Mann öffnete einen Wandtresor und nahm etwas heraus. Sie konnte nicht erkennen, was es war. Es glitzerte in seinen Händen und dann traf sie ein greller, kalter Lichtblitz, der ihre Augen blendete und einen stechenden Kopfschmerz verursachte.
    Einen Moment schwebte sie in völliger Dunkelheit, froh, dem kalten, grellen Licht entkommen zu sein. Dann fand sie sich in einer anderen Umgebung wieder. Die Luft war von chemischen Aromen erfüllt, Schwefel war der einzige Geruch, den sie klar identifizieren konnte. Da waren Kessel und dicke Rohrleitungen, in der Dunkelheit nur schwach erleuchtet. Für sie, die mitten im Wald lebte, hätte diese Umgebung fremder und unvertrauter nicht sein können. Sie hörte ein lautes Fauchen. Schimmerndes, nachtschwarzes Fell. Eine Raubkatze mit leuchtenden gelben Augen, die sich zum Sprung duckte. Chris glaubte keinen Muskel rühren zu können. Der geduckte Katzenkörper schnellte in die Länge wie eine große schwarze Sprungfeder und Chris sah ihn auf sich zufliegen, die Krallen an den mächtigen Vorderpranken ausgefahren, die Zähne gebleckt. Jetzt löste sich ihre Starre. Sie schrie und wachte mit einem Ruck auf.
    Jonas Faber wurde von Chris’ Schrei aus dem Schlaf gerissen. Draußen wurde es bereits hell und er sah sie aufrecht im Bett sitzen. Ihr rundes, volles Gesicht wirkte angespannt. Als könnte sie dort etwas sehen, das Jonas verborgen war, starrte sie in die Morgendämmerung hinter dem Fenster, wo Nebel vor den Bäumen hing. Er ahnte, dass sie einen ihrer hellsichtigen Träume geträumt hatte. Das kam nicht zu oft vor, aber doch oft genug, dass es ihm wohl vertraut war, und er wusste, was er zu tun hatte. Er setzte sich auf, rückte dicht an sie heran und legte den Arm um ihre breiten, gut gepolsterten Schultern, stellte aber keine Fragen. Er spürte, dass sie ein wenig zitterte. Nach einer Weile hörte das Zittern auf, Chris drehte den Kopf und schaute ihn lächelnd an.
    »Draußen singen schon die Vögel«, sagte sie.
    Er nickte. »Ich muss bald zum Dienst.«
    Sie gab ihm einen Kuss. »Ist es okay, wenn du heute Frühstück machst? Ich weiß, eigentlich bin ich diese Woche dran. Aber ich habe im Traum so verrückte Bilder gesehen, über die ich ein bisschen nachdenken muss. Deshalb würde ich gern vor dem Frühstück draußen etwas herumstapfen. Ich übernehm dafür nächste Woche an einem Tag das Frühstückmachen, ja?«
    Jonas grinste verschlafen. Konnte er sich weigern? »Okay, schönste Hexe der Welt!«, sagte er und zwickte sie in den weichen Speckring über ihrer Hüfte. Chris quietschte und stieg kichernd aus dem Bett. Er sah zu, wie sie Jeans und Sweatshirt überzog und barfuß nach draußen ging. Sie lebten jetzt seit fast einem Jahr wieder zusammen, aber er wurde es nicht leid sie anzuschauen. Die reine Präsenz ihres stattlichen, vor Lebensfülle schier berstenden Körpers bereitete ihm nach wie vor ein tiefes

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