Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
Leute, von deren Steuergeld du bezahlt wirst, wünschen sich energiegeladene Beamte, die vor lauter Dynamik kaum laufen können«, entgegnete Susanne mit rauer Herzlichkeit.
Tönsdorf faltete die Hände vor seinem stattlichen Bauch. »Diese Definition trifft auf mich ohne Zweifel zu.«
Susanne ging nach nebenan in ihr Büro, dessen Tür immer offen stand, sodass sie zu dritt eigentlich ein großes Doppelbüro hatten, und hängte ihre Jacke über den Schreibtischstuhl. Es war eine andere Jacke als sonst. Weiß, mit Kapuze und ein paar bunten Mustern darauf.
»Schick, die Jacke«, sagte Torsten. »Steht dir gut.«
»Hab sie im Kleiderschrank entdeckt. Wusste gar nicht mehr, dass ich sie habe. Ich gehe mal zum Chef, Bericht erstatten.«
Als sie das Büro verlassen hatte, drehte sich Tönsdorf zu Torsten um und sagte: »Sie ist irgendwie anders als sonst, findest du nicht auch? Und ...« Er schnupperte.
»Parfüm«, sagte Torsten. »Eindeutig. Das ist in den drei Jahren, die ich jetzt hier in der Mordkommission bin, noch nie vorgekommen.«
»Da fällt mir ein«, sagte Tönsdorf, »kennst du die Telefonnummer von ihrer besten Freundin? Ich meine die, die damals ...«
»... den Dom?«
»Genau.«
»Nein. Was willst du denn damit?«
»Erklär ich dir später. Aber es geht um Susannes Lebensglück.«
»Wenn das so ist.« Torsten stand auf und ging zu Susannes Jacke. »Pass mal an der Tür auf.«
Als Tönsdorf Position bezogen hatte, durchsuchte er Susannes Jackentaschen, bis er ihr Notizbuch fand. »Wozu sind wir Kriminalisten?« Hinten drin standen Susannes wichtigste Adressen und die von Chris natürlich an erster Stelle. »Hier. Chris Adrian.« Er schrieb Tönsdorf die Nummer auf einen Zettel und steckte das Notizbuch rasch wieder weg. »Da. Und jetzt erzähl mal ...«
Antweilers Äußeres war wie immer makellos. Perfekter Scheitel, perfekt sitzender Anzug, sauber polierte Schuhe. Keine Anzeichen von Unordnung oder Chaos auf seinem Schreibtisch. »Ah, Susanne.« Er schaute sie an. Seine Brille passte gut zu seinem energischen, kantigen Gesicht. »Ich hoffe, dieser schwarze Jaguar verfolgt Sie nicht bis in den Schlaf.«
Sie setzte sich und spürte zu ihrer Verwunderung, dass ihr Körper sich weiterhin angenehm entspannt anfühlte, als ob Chris’ Lied noch in ihm nachklang. »Was halten Sie von der Sache?«
»Mit den Jahren wird man gelassener. Man lernt damit zu leben, dass man manches nicht versteht. Offen gesagt, ich habe keine Ahnung, was ich von der Sache halten soll. Ich habe mir heute Morgen bei Tönsdorf alle Unterlagen über die drei Todesfälle abgeholt, um mir selbst ein Bild zu machen. Hier. Sie können sich’s wieder mitnehmen.« Er schob ihr die Akte hin.
Dann betrachtete er Susanne einen Moment nachdenklich. Was hat er denn?, dachte sie, er sieht mich doch fast täglich. Was hatten Tönsdorf und Torsten vorhin? Ein paar andere Klamotten, ein bisschen Lidschatten. Macht das so viel aus?
»Ich hatte erwartet, dass Sie heute noch gestresster und müder aussehen würden als gestern. Immerhin gab es letzte Nacht eine weitere Leiche. Doch Sie wirken auf mich ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt Ihnen endlich mal ein paar Tage Urlaub zu bewilligen.« Das kühle Chef-Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Aber das ist dann ja wohl nicht mehr nötig. Wäre sowieso schwierig geworden, bei unserer Personalknappheit.«
»War nicht die Rede davon, däss der Innenminister neue Planstellen ...«
»Ach, es ist immer von vielem die Rede! Leider würde es Geld kosten, den Reden Taten folgen zu lassen. Die Sicherheit für die Bürger wird zwar gern im Munde geführt, man verschweigt nur ebenso gern, dass diese Sicherheit aus dem Steuergeld ebendieser Bürger bezahlt werden muss. Zumindest solange Polizeibeamte noch nicht durch Roboter ersetzt werden können, die auf Knopfdruck funktionieren und keine Pensionsansprüche haben.«
Susanne grinste. »Schöne neue Welt.«
Antweiler machte eine wegwerfende Handbewegung. »Scheiß auf die Politik.« In erstaunlichem Kontrast zu seinem stets makellosen Äußeren neigte er verbal zu einer gewissen Derbheit. »Kommen Sie, gehen wir einen Kaffee trinken.«
Das kam völlig überraschend. Von seinen Geburtstagsessen abgesehen, zu denen er einen kleinen Kreis von Kollegen nach Hause in seine asiatisch nüchtern eingerichtete Deutzer Penthousewohnung einlud, um sie zu bekochen (auch Susanne wurde seit drei Jahren diese Ehre
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