Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
zuteil), galt der Chef als völlig unprivat . Selbst bei den Geburtstagsessen wahrte er eine gewisse förmliche Distanz.
Den Weg zur Kantine hatte Susanne im Lauf der Jahre mit vielen Kollegen beschritten, aber noch niemals mit Antweiler. Neben ihm sehe ich in meinen Secondhand-Klamotten furchtbar schlampig aus, dachte sie.
»Ich habe mir in letzter Zeit wirklich etwas Sorgen um Sie gemacht«, sagte er unterwegs. »Dass Sie sich nun von einem Tag zum anderen so gut erholt haben, lässt mich fast vermuten, Ihre außergewöhnliche Freundin hatte die Hände im Spiel.«
So was! Columbo war gar nichts gegen Antweiler. Sie holten sich Kaffee. Er deutete auf einen freien Fensterplatz. »Die Maisonne macht die triste Kantinenatmosphäre etwas erträglicher.«
Sie setzten sich und Susanne blickte auf den über den Blaubach strömenden Verkehr hinunter.
»Ich hatte schon überlegt Ihnen Tai Chi zu empfehlen. Als Hilfsmittel gegen den Stress. Wie Sie wissen, beschäftige ich mich seit längerem mit asiatischen Philosophien und Bewegungslehren.« Sie wusste es nur aus zwei oder drei Nebensätzen bei seinen Geburtstagsessen, bei denen er mehr zuhörte als redete.
Susanne zündete sich eine Zigarette an. »Meinen Sie, Tai Chi könnte mir helfen meinen Tabakkonsum zu reduzieren?«
»Bestimmt. Es beruhigt. Ich verwende zum Beispiel deutlich weniger Kraftausdrücke als früher.«
»Was machen wir eigentlich mit der Presse?«
Antweiler winkte ab. »Überlassen Sie das mir. Konzentrieren Sie sich ganz auf die Ermittlungen. Nach außen werden wir einstweilen die Version tragischer Unfalh verkünden. Immerhin ist er ja in seinem Büro gestorben und es gab praktisch keine externen Zeugen bis auf Mario Eberhard. Ich denke, Europetrol wird ebenfalls daran gelegen sein, die Unfallversion zu unterstützen. Eventuell müssen wir diesen Mario etwas von der Presse abschirmen. Mal sehen. Dagegen, dass nach all dem Wirbel um den Jaguar bei Sempolds und bei Krupkas Tod nun in den Medien wild spekuliert wird, sind wir sowieso machtlos.«
Er schaute einen Moment schweigend auf die dahinkriechende Blechlawine hinunter. »Es könnte sich um ein quantenphysikalisches Phänomen handeln«, sagte er dann unvermittelt.
»Wie bitte?«
»Der Jaguar. In der Quantenphysik haben Wissenschaftler schon vor Jahrzehnten die Theorie so genannter nichtlokaler Feldeffekte aufgestellt. Es andelt sich dabei um Effekte, die nicht an Raum und Zeit gebunden sind. Demnach könnte etwas, das nicht an einen bestimmten Ort gehört, unter bestimmten Voraussetzungen sehr wohl an diesem Ort auftauchen. Natürlich beschränken sich diese Theorien auf den Bereich der Elementarteilchen. Andererseits setzt sich aber die gesamte Materie aus diesen Teilchen zusammen, also auch Menschen. Und Jaguare.«
Er sollte mal mit Jonas angeln gehen, dachte Susanne. Die beiden hätten wahrscheinlich ihre helle Freude aneinander.
»Ihr skeptischer Blick findet mein vollstes Verständnis, Susanne. Aber ungewöhnliche Geschehnisse zwingen dazu, nach ungewöhnlichen Erklärungen zu suchen. Damit so ein nichtlokaler Feldeffekt den Bereich der Elementarteilchen sprengen und sich auch auf große Materieeinheiten auswirken könnte, müsste vermutlich eine sehr starke Energie im Spiel sein. Wir sollten in Betracht ziehen, dass es sich dabei auch um emotionale Energie handeln könnte. Bei Mord ist wohl fast immer eine starke emotionale Energie im Spiel. Was uns zur Frage des Motivs führt ...«
»Rache«, sagte Susanne spontan.
»Sehr gut. Ich würde sagen, der Junge ist der Schlüssel.«
Susanne nickte. »In Belize muss sich vor Jahren eine ganz üble Geschichte zugetragen haben und wir müssen endlich jemanden finden, der uns diese Geschichte erzählt.«
Antweiler leerte seine Kaffeetasse und schaute auf die Uhr. »Ich habe noch eine Lagebesprechung beim Polizeipräsidenten, wobei sich mir vor lauter gepflegter Langeweile vermutlich die Fußnägel aufrollen werden. War nett, mit Ihnen zu plaudern.« Er nickte ihr zu und ging. Für jemanden, der so viel Zeit am Schreibtisch verbrachte, war sein Gang erstaunlich federnd und elastisch. Und er hielt sich athletisch aufrecht, hatte einen guten Muskeltonus. Dass ihr das nie so recht aufgefallen war, lag vermutlich daran, dass sie einander fast nur in seinem Büro begegneten. Wenn sie an Antweiler dachte, sah sie immer seinen Schreibtisch und ihn dahinter sitzend.
Nachdenklich trank sie noch einen Kaffee, rauchte noch eine Zigarette, ehe sie zu
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