Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
Herr Eberhard stand am Fenster und schaute auf diesen Garten, in den einiges von Arne Feltens Geld geflossen war. »Vorbei«, sagte er leise. Mario hatte ihn in der vergangenen Nacht angerufen und ihm von Feltens Tod erzählt, mit erstaunlich ruhiger, gefasster Stimme. Und Eberhard hatte den Jungen angelogen und gesagt, er müsse heute in München noch einige geschäftliche Dinge erledigen, werde sich dann aber in den Nachtzug nach Köln setzen, um Mario zur Seite zu stehen. Eine weitere von vielen Lügen. Die letzte.
Seine Frau trat neben ihn. »Ich habe Angst«, sagte sie, »schreckliche Angst.«
Er nahm sie in den Arm und küsste sie. »Wir haben immer zusammengehalten. Wir stehen auch das gemeinsam durch. Außerdem wissen wir ja nicht, wie weit die Macht des Jaguars reicht.«
»Wir hätten diese Texte ernst nehmen sollen, die wir damals entziffert haben, statt nur an das Geld zu denken, das sich mit den Artefakten verdienen ließ.«
»Ich glaube, in Neuseeland sind wir sicher. Das ist so weit weg.« Er legte die Hand auf die Brusttasche seines Jacketts, in der die Flugtickets steckten. »Zu dumm, dass heute keine Maschine mehr geht.«
»Ich hoffe, das Schicksal lässt uns noch diese eine Nacht. Ich glaube auch, dass die Gefahr vorbei ist, wenn wir erst einmal im Flugzeug sitzen. Oder jedenfalls klammere ich mich an diese Hoffnung.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie oft haben wir über die Schicksalsgläubigkeit der Olmeken und der Maya gelächelt, nicht wahr? Alles ist vorherbestimmt. Alles ist in ihrem verdammten ewigen Kalender aufgezeichnet. Jede Schuld muss ausgeglichen werden. Alle müssen sich dem Gesetz beugen. Mir schien das immer reichlich absurd. Ich fand sie so ... beschränkt. Mit ihren immer gleichen Ritualen, die sie seit Jahrhunderten wiederholen, genau so, wie es ihnen von den Ahnen überliefert wurde. Ihrem mittelalterlichen Glauben an göttliche Mächte. Wir haben die Macht des Jaguars herausgefordert und jetzt müssen wir dafür bezahlen ...«
Eberhard ballte erregt die Hand zur Faust. »Aber warum erst j etzt, nach so vielen Jahren ? Warum nicht damals, als wir alle noch in Belize gelebt haben?«
»Vergiss nicht, dass sie eine andere Vorstellung von Zeit haben. Alles verläuft für sie in ewig währenden Zyklen. Es besteht kein Grund zur Eile. Die Dinge werden dann getan, wenn sie glauben, dass der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Sei es nach einem Jahr, nach zehn Jahren oder nach hundert Jahren.«
»Und der Junge ist das Werkzeug ihrer Rache. Wir dürfen ihn nicht wieder sehen«, sagte Eberhard. »Dabei habe ich ihn wirklich gemocht, auch wenn natürlich das Geld im Vordergrund stand. Feltens Gewissensgeld.«
Die Augen seiner Frau füllten sich mit Tränen. »Natürlich war es unser Job. Felten hat uns gut dafür bezahlt, das stimmt. Ohne ihn wären wir niemals aus unseren Schulden herausgekommen. Aber der Junge ist mir trotzdem ans Herz gewachsen wie ein eigener Sohn und es tut weh, ihn für immer zu verlieren. Aber vermutlich werden sie ihn zurückholen in den Dschungel.«
Eberhard schüttelte den Kopf. »Er hätte gar nicht nach Europa gebracht werden dürfen. Wir hätten uns nie darauf einlassen sollen. Auf die gesamte Geschichte damals hätten wir uns nie einlassen dürfen.« Er legte den Arm um sie. »Aber, verdammt, noch sind wir am Leben! Ich bin überzeugt, dass wir es nach Neuseeland schaffen. Und dort fangen wir noch mal ganz von vorn an. Dafür sind wir nicht zu alt.«
»Und wenn er heute Nacht kommt?«
Eberhard zeigte mit finsterem Gesicht auf die große Jagdbüchse, die neben den Koffern an der Wand lehnte. »Dann werde ich kämpfen!«
Susanne hatte Chris am Hauptbahnhof abgesetzt und war dann gleich zum Präsidium gefahren. Sie registrierte Tönsdorfs und Torstens Blicke, als sie das Büro betrat, in dem die beiden ihre Schreibtische stehen hatten.
»Neues Outfit?«, sagte Torsten.
»Nee. Altere Klamotten. Aber ich dachte, etwas Abwechslung schadet ja nicht, ab und zu.«
Sie legte die Hotelprojekt-Broschüre vor Tönsdorf auf den Schreibtisch. »Hier. Arbeit! Finde mal heraus, wer hinter dieser Firma steckt. Würde mich interessieren, ob die Eberhards etwas damit zu tun haben oder sogar Felten selbst. Und noch was: Ich will alles über Feltens Lebenslauf wissen, was du rauskriegen kannst. Vor allem: Wann war er in Belize und was hat er dort getrieben?«
»Klingt nicht gerade nach einem gemütlichen, geruhsamen Nachtmittag«, stöhnte Tönsdorf.
»Die
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