Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
Termine wahrzunehmen, die er sonst kalt lächelnd mir aufs Auge gedrückt hätte.
Zunächst hat er offenbar unseren Praktikanten zu meiner Krankenvertretung ernannt. Eine preiswerte Lösung, die obendrein von Ferdi Hinterhuber wärmstens befürwortet wurde.
Nachdem dieses Experiment erwartungsgemäß in die Hose gegangen ist, hat er für die Dauer meiner Krankheit zähneknirschend einen Event Designer engagiert.
So wie Renate mir diesen jungdynamischen Manuel Weber mit seinem gegelten Kurzhaarschnitt und seiner schmalen, eckigen Hornbrille schildert, weiß ich gleich, dass er mir zutiefst unsympathisch ist. Leider habe ich gar nicht erst die Chance, ihm das auch zu demonstrieren.
Er meldet sich nämlich einfach nicht bei mir. Ich bin ganz offensichtlich so ersetzbar, dass meine Vertretung noch nicht mal eine fernmündliche Einweisung von mir benötigt.
Das gibt mir schon zu denken. Ich meine, ich habe natürlich nie ernsthaft darauf gehofft, dass Joe Meidner dereinst eine marmorne Plakette vor meinem Büro enthüllen würde, auf der »Hier lebt und arbeitet Sandra Heller. Sie ist und bleibt unsere Beste« eingraviert ist. Doch dass mein Wirken so sang- und klanglos in Vergessenheit gerät – das erfüllt mich dann doch mit einer gewissen Frustration.
In die sich allerdings allmählich die wahrhaft wegweisende Erkenntnis mischt, dass ein paar Überstunden weniger für diese Firma wohl auch schon mehr als genug gewesen wären.
Hoffentlich werde ich mich an diese Erleuchtung auch noch nach meiner Genesung erinnern.
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»In der Mitte der Nacht beginnt der neue Tag«, hat Martinas Meditationskalender neulich schwadroniert. Das war kurz nach der Diagnose, und da ging’s mir so mies, dass ich für diese Glückskekssprüche nun wirklich keinen Sinn hatte. Ich wollte aufspringen und den Kalender mit Schwung in den Altpapiercontainer feuern. Doch unglücklicherweise war ich so deprimiert, dass ich noch nicht mal vom Sofa hochkam. Geschweige denn die Treppe runter und in den Hof zu den Mülltonnen.
So viel zum Thema Schwung an schlechten Tagen.
Inzwischen stehe ich buddhistischen Weisheiten wieder etwas aufgeschlossener gegenüber. Denn seit ich weiß, dass ich diese Krankheit habe, sind ein paar seltsame Dinge passiert.
Zuerst war ja der Stress weg. Für einen Workaholic wie mich ist das ein unglaubliches Gefühl. So als ob nach Jahren im Schleudergang auf einmal jemand die Stopptaste für mich gedrückt hätte. Ich traue mich kaum, es zuzugeben, aber mitten in diesem ganzen Horror überkommt mich eine riesenhafte Erleichterung. Und eine innere Ruhe, die ich sonst wahrscheinlich erst nach drei Monaten Selbstfindungsmeditation in Goa erlangt hätte.
Es ist, als könne mein Kopf auf einmal glasklar zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden. Eine Kunst, die mir früher so fern war wie Byzantinistik und Nuklearphysik.
Was hat mir eine Praktikantin mal gesagt? Genau: »Wichtig ist am Ende auch egal.« Damals habe ich sie für diese rotzfreche Antwort auf einen dringenden Arbeitsauftrag hochkant rausgeschmissen. Heute muss ich mir verschämt eingestehen, dass sie möglicherweise nicht völlig unrecht hatte.
Na ja, und dann ist da die unfassbare, ja geradezu wundersame Auferstehung unseres Liebeslebens. Bevor Thomas dem Charme der vegetativen Stecklingsvermehrung erlag, hat es in unserer Beziehung ja durchaus etwas gegeben, das diesen Namen verdiente.
Nun aber schnackseln wir, um es mal mit einem Wort meiner Lieblingsfürstin Gloria von Thurn und Taxis auszudrücken, ganz so, als ob jede Nacht unsere letzte sein könnte. Einmal meldete sich Thomas sogar einen Tag krank, nur um mit mir noch ein paar Stündchen im Bett zu bleiben. Eine bis dato geradezu unerhörte Vorstellung.
Erst vermutete ich, dass er sich hinter meinem Rücken endlich zu einer Viagra-Kur entschlossen hatte. Doch als ich das Thema mal beiläufig ansprach, wütete er wie immer gegen industrielle Medikamente aller Art und hielt mir einen zweistündigen Kurzvortrag über statistisch nachweisbare Heilerfolge durch Homöopathie und Bachblüten.
Nein, das Revival seiner Manneskraft verdankt sich offenbar einzig und allein der Binsenweisheit, dass man sein Glück immer erst dann erkennt, wenn man Gefahr läuft, es ein für alle Mal zu verlieren.
In meinen Hirnwindungen scheint sich dieselbe Erkenntnis auszubreiten. Denn ich kann auf einmal wieder richtig sehen!
Früher beschränkten sich meine Sinneswahrnehmungen ja im Wesentlichen auf erstens
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