Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
topaktuelle Statistik über Handgreiflichkeiten zwischen Patientinnen und Gynäkologen zu legen. Doch dann beschränke ich mich auf ein energisches »Ihr Medizinerlatein ist mir völlig unverständlich. Erklären Sie mir die Sachen bitte so, dass ich sie auch verstehe.«
Treffer, versenkt.
Einen Moment lang starrt Gott in Weiß mich an, als wolle er auf der Stelle den Blitz in mich fahren lassen – doch dann schluckt er und fängt von vorne an. Auf Deutsch. Wir leben schließlich im Internetzeitalter, da riskiert kaum noch ein Mediziner, beim friedlichen Googeln seines eigenen Namens auf Totalverrisse von ehemaligen Patienten zu stoßen.
Apropos Internet: Um mir ein möglichst vollständiges Bild meiner gesundheitlichen Lage zu machen, habe ich da natürlich auch recherchiert.
Aber nur eine knappe Viertelstunde lang. Zu demoralisierend. Bei der Masse an Symptomen, Diagnosen, Infos, Theorien, Gerüchten und Schreckgeschichten fängt man ja schon als kerngesunder Mensch spontan an zu kränkeln. Wer an mehr leidet als an einem leichten Schnupfen, sieht sich da zwangsläufig schon bei der Letzten Ölung. Manchmal ist es offenbar ausgesprochen vernünftig, nicht bis ins letzte Detail Bescheid zu wissen.
Das alles hat Renate mir sowieso schon prophezeit und mir einen Termin bei dem Arzt verschafft, der sie damals operiert hat. Auch Dr. Hameister ist einer von den bekannten Experten. Aber einer mit einer Seele da, wo bei dem anderen Typen nur ein Kreditkartenlesegerät eingebaut war.
Ich schaue in seine klugen braunen Augen, denke mir, dass diese blöde Bankenwerbung »Vertrauen ist der Anfang von allem« vielleicht doch nicht so blöd ist, und mache einen Operationstermin mit ihm aus.
v v v
Vertrauenerweckender Chirurg hin oder her – in der Wartezeit bis zum Termin muss ich mit der bangen Frage nach dem Zustand meiner Lymphknoten leben. Aber da ich davon ohnehin erst nach der OP erfahren werde, schiebe ich jeden Gedanken daran sofort weg. Bis zum Krankenhaus jeden einzelnen Tag genießen, heißt die Devise.
Und das gelingt mir erstaunlich gut. Nicht zuletzt deshalb, weil der Mensch offenbar seit damals in der Höhle notgedrungen eine gewisse Routine im Umgang mit Schocks und schlimmen Zeiten entwickelt hat. Es ist jedenfalls unglaublich, wie schnell sich selbst inmitten von Angst und Adrenalin wieder so etwas wie Normalität einstellt.
Und dass so eine Krankheit, nüchtern betrachtet, zumindest eine gute Seite hat, das ist mir schon am Morgen nach der Diagnose klar geworden. Da wachte ich zwar zur gewohnten Weckzeit auf, blieb dann aber noch zwei Stündchen im Bett und döste zu meiner eigenen Überraschung halbwegs entspannt vor mich hin.
Diesen Tag würde die Meidner Fair & Event Design GmbH ohne die treuen Dienste von Sandra Heller auskommen müssen. Diesen und viele weitere Tage auch.
Seit jenem Morgen ist meine höchstpersönliche Riesenstressmaschine einfach so zum Stillstand gekommen. Termindruck: weg. Leistungsdruck: weg. Kundendruck: weg. Chefdruck: weg.
Einerseits bin ich geradezu erschüttert darüber, dass ich erst richtig krank werden musste, um zu kapieren, dass selbst die superwichtigsten Stressmacher unterm Strich nichts weiter sind als Schall und Rauch. Und dass ich ihnen genau aus diesem Grund niemals so hilflos ausgeliefert war, wie ich immer geglaubt habe. Andererseits genieße ich mein neues Leben in der stressfreien Zone in vollen Zügen.
Dr. Schnurer hat es zwar tatsächlich gewagt, mich auf meinem privaten Handy anzurufen, um mit mir die Frage »Nicole oder vielleicht doch lieber Heino« zu diskutieren. Ich brachte ihn mit einem resoluten »Tut mir leid, aber ich bin erkrankt und werde mich bis auf Weiteres nicht um Ihr Projekt kümmern können« zum Schweigen. Merke: Wenn man schon so eine Dreckskrankheit hat, ist es völlig okay und obendrein außerordentlich wirksam, sie strategisch zu nutzen, um sich Nervensägen aller Art vom Hals zu schaffen.
So befriedigt ich bin, dass mich in der Firma alle in Ruhe lassen – ein bisschen irritiert bin ich schon darüber. Da habe ich Stunden, Tage und Wochen meines Lebens für meinen Job geopfert, immer in der Annahme, dass der Laden ohne meinen heldenhaften Einsatz umgehend aus dem Ruder laufen würde. Jetzt falle ich geradezu unvorstellbar lange aus – und was passiert?
Nichts. Der Betrieb geht einfach weiter. Von Renate weiß ich nur, dass der Meidner mehr flucht als sonst und inzwischen sogar zwei Golfturniere absagen musste, um
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