Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
mitzubringen.
»Krebs besiegen und durch Frankreich fahren – das ist doch genau das Richtige für dich!« Sie war gar nicht mehr zu bremsen in ihren Visionen, welch gewaltige Kräfte dieses Buch in mir freisetzen würde.
Kann schon sein, dass das irgendwann so sein wird. Vorerst setzten die Memoiren von Herrn Armstrong in mir erst mal nur beträchtliche Mengen Adrenalin frei. Dazu Schwindelgefühle und leichten Brechreiz.
Kurz entschlossen drückte ich Neele ihr Geschenk wieder in die Hand. Mit wackeliger Stimme hörte ich mich ihr erklären, dass diese ganzen Krebsbiografien für unsereins ungefähr so aufmunternd sind wie Meyers Großes Gesundheitslexikon für einen Hypochonder. Und dass ich für meinen Teil mir erst wieder ein paar Jährchen lang ein dickeres Fell wachsen lassen würde, bevor ich so was lese. Wenn überhaupt.
»Hab ich irgendwie geahnt«, maulte Neele. »Dabei geht’s in dem Buch doch gar nicht um Brustkrebs, sondern um Hodenkrebs!«
Mein Blick sprach mehrere Bände. Doch für ein Streitgespräch fühlte ich mich noch nicht kräftig genug. Also widmete ich mich lieber dem Geschenk, das Martina mir mitgebracht hatte. Ein kleiner geschliffener Bergkristall. »Bergkristalle wirken harmonisch und vitalisierend. Sie sind der Schlüssel zu Klarheit und innerem Gleichgewicht«, sagte sie feierlich. »Er wird dir helfen, deine Energie zu bündeln und wieder klar zu sehen.«
Neele schnaubte verächtlich. Mit Esoterik hat sie nichts am Hut. Und ich eigentlich auch nicht. Außerdem mache ich mir seit dem beruhigenden Lymphknotenbefund um meine persönliche Energiebündelung und Klarsicht keine allzu großen Sorgen mehr. Trotzdem trage ich den Kristall seitdem sicherheitshalber immer bei mir. Man weiß ja nie.
v v v
Als Thomas mich aus dem Krankenhaus abholt, strahlt die Sonne vom Himmel. »Für Ende Februar ungewöhnlich warm«, sagt das Autoradio. Auch Thomas berichtet detailgenau von den Durchschnittstemperaturen der letzten 30 Jahre und den neuesten Beweisen für die globale Klimaerwärmung.
Ich höre gar nicht zu. Denn ich schwebe auf Wolke 29, mindestens. Ich bin noch mal mit einem blauen Auge davongekommen!
Ich bin raus aus dem Krankenhaus, Münchens Altstadtring draußen vor den Autofenstern scheint mir traumhaft schön, der Meidner ist weit, und vor mir liegen noch mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Monate Entspannung, bevor ich wieder bei ihm antreten muss. Okay, vor mir liegen auch sechs Wochen Strahlentherapie. Aber nach allem, was Renate mir darüber erzählt hat, ist das ein Spaziergang im Vergleich zu dem, was mir obendrein noch alles hätte blühen können.
Wir fahren an der Theatinerkirche vorbei, deren ockergelbe Türme vor dem blauen Himmel geradezu göttlich leuchten. Nicht, dass ich in irgendeiner Form religiös veranlagt wäre – aber plötzlich überkommt mich ein seliges Gefühl. In meinen Hirnwindungen, sonst von vielstimmigem Gebrabbel erfüllt (Was soll ich heute Abend kochen? Soll ich mir Uggs kaufen oder doch lieber Pumps? Wie schaffe ich es, dem Meidner einen neuen Laptop aus dem Kreuz zu leiern? Wie lange wird Thomas’ erotisches Hoch wohl halten?), herrscht auf einmal erhabene Stille.
Mitten in diese Stille hinein erkläre ich diesen Tag feierlich zum ersten Tag meines neuen Lebens.
Ich hatte seit der Diagnose viel Zeit nachzudenken. Und das Ergebnis steht nun fest:
Ich werde in Zukunft alles besser machen.
Ich werde mir jeden Tag was Gutes tun. Die stille Schönheit des Alltagslebens entdecken. Mein Glück im Winkel mit Thomas endlich schätzen lernen. Souverän und gelassen meinen Job erledigen. Rechtzeitig die Notbremse ziehen, wenn mir alles zu viel wird. Mich mehr um meine Eltern und um meine Freundinnen kümmern. Wieder mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.
Ich werde auf meine Ernährung achten. Nicht so viel trinken (außer an Feiertagen und besonderen Anlässen). Mich bescheiden an jedem Tag erfreuen, den ich ohne gesundheitliche Katastrophe erleben darf.
Hört, hört!, tönt mein innerer Staatsanwalt vom Rücksitz aus. Wer’s glaubt, wird selig!
Ich höre gar nicht hin. Mild lächele ich ihn im Rückspiegel an, bis er ganz durchscheinend wird und schließlich leise seufzend verschwindet. Das ist jetzt meine zweite Chance, und diese Chance werde ich nutzen. Nicht so wie der Schmidtbauer bei uns im Haus, der immer noch an seinem zweiten Herzinfarkt rumlaboriert.
»Heute ist Premiere: mein Leben, zweiter Teil!«, fasse ich meine guten Vorsätze
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