Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
Backen Gesellschaft zu leisten, und du hörst mir noch nicht mal zu!«
Oh Gott. Das fehlt gerade noch, dass ich jetzt vor lauter Frust auch noch gaga werde.
Verlegen knete ich an meinen neuen Silikonbackformen für Madeleines und Petits Fours herum. Habe ich mir letzte Woche in einem akuten Anfall von Kaufrausch zugelegt. Zusammen mit zehn Keksdosen mit diesen niedlichen Raffael-Engeln drauf, einem Backbrett aus massivem Buchenholz, einem Profiteigrührgerät, fünf topaktuellen Patisserie-Backbüchern und einer elektrischen Spritzgebäckmaschine.
Irgendwie hatte ich wohl gehofft, mich mit dieser schönen neuen Ausrüstung vom Grübeln abzuhalten und die meditative Verzückung des Keksebackens wiederzufinden.
Mein Gemüt weht trotzdem weiter auf halbmast. Wenn das so weitergeht, muss ich reumütig zu Martinas Meditationslehrer zurückkehren.
»Ach, Daniel, du hast’s so gut. Glückliche Beziehung, Gutmenschenjob, robuste Gesundheit, stabil gute Laune. Und was hab ich? Nix außer einem Haufen selbst gebackener Kekse!«
Gleich brech ich in Tränen aus.
Daniel schaut mich streng an. Jetzt wird er mir bestimmt einen seiner philosophischen Dritte-Welt-Vorträge halten. Das hat mir gerade noch gefehlt.
»Jetzt hör mal auf mit deinem ewigen Selbstmitleid. Du hast also gerade keinen Job und ein paar Probleme mit deinem Kerl – na und? Dafür hast du ein gut gefülltes Konto. Und übrigens auch ein Dach überm Kopf, fließend Wasser und immer genug zu essen. Nein, nicht nur Kekse!«, schimpft er, als ob er meine Gedanken gelesen hätte.
»Damit du’s weißt, von so einer sozialen Grundsicherung wie in Deutschland können die Menschen in den Entwicklungsländern nur träumen. Ach was, Entwicklungsländer: Sogar in den USA träumen sie davon! Ist dir das überhaupt bewusst – oder hast du etwa noch nie einen Bericht über diese Obdachlosenzeltstädte gesehen? Ach ja, ich vergaß, Madame lesen ja nur noch die Bunte !«
Unter seinen missbilligenden Blicken werde ich sekündlich kleiner. Kurz erwäge ich, zu meiner Verteidigung darauf hinzuweisen, dass ich immerhin so gut wie jeden Tag das heute journal anschaue und daher mit den Krisengebieten der Welt bestens vertraut bin. Doch wie ich meinen Bruder kenne, wird ihn das kaum beeindrucken. Dann lieber still und ergeben abwarten, bis die Predigt beendet ist.
»Du genießt das Privileg einer Krankenversicherung, um die dich mindestens neun Zehntel der Menschheit beneiden! Ist dir eigentlich klar, dass die meisten Frauen in Burkina Faso oder in der Zentralmongolei ziemlich schlechte Karten haben, wenn sie von so einer Krankheit erwischt werden wie du? Und was du für ein Riesenglück hast, dass du rein zufällig in Deutschland geboren wurdest und nicht irgendwo in der Sahelzone?«
Verlegen starre ich auf meine Backformen. Kurz erwäge ich, ihn zu fragen, wo genau die Sahelzone eigentlich liegt, um das Gespräch unauffällig in eine andere Bahn zu lenken.
Doch mein Bruder ist nicht zu stoppen. »Und eins sage ich dir auch«, fährt er mit Grabesstimme fort. »Beziehungskrieg ist Pillepalle im Vergleich zu Bürgerkrieg! Frag mal die Leute im Kosovo oder in Tschetschenien!«
An diesem Punkt füllen sich meine Augen erwartungsgemäß mit Tränen. Vor Frust. Und vor allem vor schlechtem Gewissen.
Ich kreise vielleicht ein bisschen zu viel um meinen Nabel. Aber blöd bin ich nicht. Weshalb mir erleuchtungsartig klar wird, wie gut ich es in meinem kleinen Leben eigentlich habe.
Wer weiß, vielleicht verhilft Daniels Predigt mir ja dazu, diese Erkenntnis länger als die obligatorischen fünf Betroffenheitsminuten im Gedächtnis zu behalten. Als sie mich damals nach dem Krankenhaus das erste Mal überkam, ist es mir offenbar nicht gelungen, sie dauerhaft in meinem Bewusstsein zu verankern.
Wie kann ich nur so undankbar sein!
Liebevoll wischt Daniel mir eine Träne von meinen schamrot verfärbten Wangen. »Ach, Sandra, es gibt für dich doch gar keinen Grund zum Weinen. Du solltest dankbar sein, dass es dir so geht, wie es dir geht.«
Noch so ein Lehrsatz, und von mir bleibt nur eine große Pfütze übrig. Nach einem prüfenden Blick auf die Wassermassen in meinen Augen hat Belmondo sich bereits vom Küchenboden auf einen höher gelegenen Stuhl in Sicherheit gebracht.
»Komm, schau mich an. Meine Beziehung mit Andrea ist auch nur deshalb so glücklich, weil wir keine Fernbeziehung mehr wollten und jetzt von München aus einfach mal schauen, ob wir nicht was für uns
Weitere Kostenlose Bücher