Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
plötzlich ganz genau.
Mein Kampfgeist ist offenbar endlich wieder daheim.
Mit distanziertem Lächeln höre ich zu, als Joe mir unter dem Motto »Sandra, ich fürchte, wir müssen uns trennen« einen offensichtlich auswendig gelernten Kurzvortrag hält.
Aufmerksam schreibe ich mit, während er mir als Kündigungsgründe ein nicht mehr tragbares Leistungsdefizit, mangelndes Einfühlungsvermögen im Umgang mit Kunden und einen am 12. Dezember 2006 aus der Büromaterialkammer entwendeten Bleistift aufzählt. Interessiert schaue ich die Notiz an, die er mir dann über den Tisch schiebt.
»Es ist für uns alle das Beste, wenn du selber kündigen würdest«, sagt er. Seine Stimme klingt ganz schleimig vor geheucheltem Mitgefühl. »Unter den Umständen würde ich darauf verzichten, deinen Diebstahl strafrechtlich verfolgen zu lassen. Hier, musst nur noch unterschreiben.«
Lauernd sieht er mich an und grinst hämisch. Im Geiste nimmt er mir wahrscheinlich bereits den Firmenlaptop und die Büroschlüssel ab. Höchste Zeit, ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Eine knappe halbe Stunde später ist Joe das Grinsen vergangen. Und ich bin um 20.000 Euro reicher. Der Inhalt meines Umschlags hat Joe überraschend schnell von der Notwendigkeit überzeugt, mit mir einen Aufhebungsvertrag zu schließen. Selbstverständlich inklusive einer angemessenen Abfindung.
»Hier, Joe, musst nur noch unterschreiben«, sage ich kühl, als unsere kurzen Verhandlungen beendet sind. Ich zerknülle seine Notiz und schiebe ihm meinen eigenen Vertrag zu. »Zweifache Ausfertigung, also bitte zwei Unterschriften, sei so lieb.«
Er starrt mich an, als wolle er mich im nächsten Moment mit seiner Tastatur erschlagen. Seine Ohrenhaare beben vor Zorn.
Ich starre unbeeindruckt zurück und erhebe mich. Um mir eins über den Kopf zu ziehen, bräuchte er jetzt eine Trittleiter.
Ich bin richtig stolz auf meine Performance. Und danke im Geiste Manuel, der die Weitsicht gehabt hat, den Vertragstext für mich vorzubereiten.
»Ich weiß gar nicht, wie ich das dem Ferdi erklären soll«, jammert Joe. »Und überhaupt: Wer sagt mir, dass du nicht bei der nächsten passenden Gelegenheit mit Kopien davon zu ihm rennst?«
Ich sehe ihn an. »Du solltest mich besser kennen, Joe. Notwehr – ja, aber fiese Tricks – nein, danke. Und was Ferdi angeht, so bist du doch sonst auch nicht um blumige Ausreden verlegen.« Hoch erhobenen Hauptes stöckele ich zur Tür.
»Ach, eins wollte ich dir immer schon sagen«, erkläre ich, als ich schon die Klinke in der Hand habe. Joe glotzt mich an. »Joe Meidner, du bist ein richtiges Arschloch.«
v v v
Ein unheimlich starker Abgang, finden Sie nicht auch? Leider ist inzwischen niemand mehr im Büro, mit dem ich feiern könnte. Spontan beschließe ich, meinen Sieg mit einem Glas Champagner im ›Schumann’s‹ zu begießen. Danach ist immer noch Zeit, um meine Lieben über den beglückenden Ausgang der Begegnung zu unterrichten.
Ich fühle mich einfach großartig. Anstatt mich zur Kündigung führen zu lassen wie ein Lamm zur Schlachtbank, habe ich gekämpft. Und gewonnen. Ich habe mich von einem Job gelöst, der mir schon lange zuwider war. Ich habe dem Meidner endlich – endlich ! – gesagt, was ich von ihm halte. Und dafür noch eine fette Abfindung kassiert.
Sandra Heller: eine Frau, die weiß, was sie will! Eine Frau, die den aufrechten Gang wiedergefunden hat! Eine Frau, die ihren Weg gehen wird!
Ich habe gar nicht gewusst, dass so viel Unbeugsamkeit in mir steckt. Ich bin stark. Ich bin stolz. Ich bin total glücklich. Hallo, Leben, jetzt komm ich!
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I ch bin total unglücklich. Was habe ich da bloß angerichtet? Die Abfindung ist doch in null Komma nix verbraucht! Und ich finde nie mehr im Leben einen Job! Wie konnte ich nur so blöd sein?
Nur mit größter Mühe kann ich den Reflex unterdrücken, Joes Handynummer zu wählen und ihn auf Knien anzuflehen, mir meinen Job wiederzugeben. Gerne auch zum halben Gehalt bei doppelter Stundenzahl. Hauptsache, ich habe überhaupt wieder eine Aufgabe.
Trübselig starre ich in den grauen Himmel. Es ist erst Anfang Oktober, aber ich fühle mich so schlapp, als hätte ich schon mindestens sechs Monate finsterste Polarnacht hinter mir.
Menschen, die wie ich unter Herbst- und Winterdepressionen leiden, müssten in dieser Jahreszeit grundsätzlich auf Krankenkassenkosten vier Wochen in die Sonne fliegen dürfen. Und zwar erst recht, wenn es sich um verlorene Gestalten
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