Weniger arbeiten, mehr leben
traurigsten Erscheinungen unserer Zeit, dass viele Menschen den Weg, auf dem sie Kinder, Freunde oder auch ihre Eltern begleiten sollten, gegen das äußerst vergängliche Glück tauschen, als Marketing-Manager einem neuen Toaster-Modell zu einem Marktanteil von 9 Prozent im Bereich der Kombi-Toaster zu verhelfen (der beim nächsten Angriff der Konkurrenz wieder unter 5 Prozent sinkt), die Abteilung Strategical Development innerhalb des Unternehmensbereichs New Business aufzubauen (den die Firmenzentrale bei der nächsten Fusion ersatzlos streicht), oder den Chef mit unermüdlichem Einsatz beim Überstunden-Schieben zu beeindrucken (der die Ergebnisse dankbar aufnimmt – und als seine eigenen verkauft).
Die Auswirkungen davon kennt jeder von uns. Sie äußern sich in dem schlechten Gefühl, wenn der Kontakt zu alten Freunden schleichend verendet und die Liste der Bekannten, die man unter der Rubrik »Müsste ich dringend mal wieder anrufen« führt, immer länger wird. Nur allzu häufig ist das Ergebnis einer rasanten, beruflichen Karriere schlichtweg Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die sich unter dem Mantel der zahlreichen beruflichen Kontakte verbirgt, die man im Laufe der Jahre sammelt. Nur leider versanden jene Kontakte meist genauso schnell wieder, wie sie entstanden sind, weil es sich um reine Zweckbündnisse handelt. »Es ist einsam an der Spitze.« Dieses geläufige Wort bedeutet nicht nur, dass sich Menschen im Zenit ihres beruflichen Erfolgs häufig von Feinden und Neidern umgeben sehen, sondern auch, dass sie trotz eines gut gefüllten Adressregisters ohne das sind, was Sozialforscher »ein stabiles soziales Netzwerk« nennen. Und dieses Netzwerk besteht eben nicht oder nur zu einem geringen Teil aus Kollegen und Geschäftsfreunden, sondern vor allem aus Menschen, zu denen man echte, tiefe Beziehungen pflegt.
|60| Nicht anders sieht es mit der Familie aus. Meist beginnt das Dilemma kurz nach der Geburt des ersten Kindes. Junge Mütter sind frustriert, weil sie zunächst für Jahre vollständig aus dem Job katapultiert wurden. Anschließend plagt sie das schlechte Gewissen, weil der Spagat zwischen Laptop und den vor dem Kindergarten wartenden Sprösslingen kaum zu bewältigen ist. Nicht viel besser ergeht es den Vätern. Entgegen landläufiger Vorurteile nimmt deren Belastung unmittelbar nach der Geburt genauso stark zu wie die der Mütter. Sie sind nun alleine für den Lebensunterhalt zuständig und haben alles in allem noch weniger Zeit für die Familie; Zeit, die sie nun auch noch »gerecht« zwischen Kindern und Ehefrau aufteilen müssen. Daraus erwachsen für beide Partner Frust, Ärger, gegenseitige Vorwürfe und ein ewig schlechtes Gewissen. Der LBS-Familienstudie 2002 zufolge kommt es vor allem unmittelbar nach der Geburt von Kindern zwischen Paaren am häufigsten zu Streit. Die Gründe sind unschwer zu ermitteln: Die Frauen sind unzufrieden, weil sie die vermeintliche Last der Kindererziehung alleine übernehmen müssen; die Männer sind frustriert, weil sie ihrem Anspruch, gute Familienväter zu sein, nicht genügen, meist eben gar nicht genügen können. Im schlimmsten Falle ist für junge Familien schon nach wenigen Jahren, wenn die Kinder kaum das schulpflichtige Alter erreicht haben, der Traum vom gemeinsamen Familienglück zu Ende. Statistisch gesehen ist dies der Zeitpunkt mit der höchsten Scheidungsrate.
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Die goldenen Achtziger
Schwer zu sagen, wann die Misere ihren Anfang nahm. Zumindest was das Familienleben betrifft, war bis in die siebziger Jahre hinein eine übermäßige Belastung durch Karriere und Beruf eher die Ausnahme als der Standard. »Ganztagsschule« war ein Fremdwort und Kinder, deren Erziehung nicht die leiblichen Eltern, sondern eine Armada von Dienstmädchen und wechselnden Hausangestellten übernahm, ein eher exotisches Schicksal. »Unbelastet« heißt dabei natürlich nicht, dass es keine familiären Probleme gab. Nur waren Väter und Mütter mit 12-Stunden-Tagen und geschäftlichen Pflichten auch am Wochenende eine Minderheit, für |61| die überwiegende Zahl der Familien stellte sich dieses Problem nicht. Unbestritten ist natürlich auch, dass in diesen Zeiten die Frauen die Hauptlast des »Familien-Managements« trugen, während sich die Männer meist dem widmeten, was sie traditionell schon von jeher zu tun hatten: Geld verdienen.
Irgendwann, etwa Anfang der achtziger Jahre, begann sich ein verändertes Rollenbild dann sehr rasch
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