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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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als Nachfrager für die technisch oft großartigen und kostspieligen Medikamente und Maschinen – Chemotherapeutika, Computertomografen, Ultraschallgeräte, Laserstrahloperationen und Ähnliches – auftreten, die das Leben der Alten verlängern.
    Ein Großteil des Konsumrausches, der die Gesellschaft der Alten erfasst, wird gar nicht als solcher, sondern als Fortschritt der Medizin wahrgenommen. Die Alten als Individuen oder private Haushalte könnten ihn nicht bezahlen, ja nicht einmal nachfragen: denn sie wüssten gar nicht, wonach sie fragen sollten, es sei denn, nach dem jeweils Neuesten und Teuersten, dem letzten therapeutischen und diagnostischen Schrei. Das Geld für die Nachfrage kommt nicht aus den Beiträgen, die sie selbst in jüngeren Jahren gezahlt haben, sondern aus den laufenden Beiträgen der jüngeren Leute heute.
    Und als kollektive Güter, die vielen gemeinsam zugutekommen, werden die modernen Medizinapparate und -techniken auch angeboten. Anbieter und Nachfrager sind hier oft ein und dieselbe Instanz: zum Beispiel der internistische Arzt, der im Namen und im Interesse seines Patienten eine Ultraschalluntersuchung der Leber verordnet beziehungsweise nachfragt und zugleich mit seinem praxiseigenen Ultraschallgerät als Anbieter derselben Leistung auftritt. Wohl selten kann man einen Grundsatz der klassischen Volkswirtschaftslehre, das Saysche Theorem, wonach sich jedes Angebot seine eigene Nachfrage verschafft – und umgekehrt –, so hautnah und unmittelbar studieren wie in diesem Falle, der doch für alle Patienten, in zunehmendem Alter immer mehr, zur Lebenserfahrung wird. Die längere Lebenserwartung, der kostspielige medizinische Fortschritt und das Saysche Theorem: Diese drei zusammen erklären, warum in der modernen Gesellschaft die Medizin immer teurer wird und die Finanznöte der Kranken- und Pflegekassen und der Kliniken und Heime wachsen. Was meist als Problem eines expandierenden Gesundheitssystems und sozialen Sicherungssystems diskutiert wird, ist volkswirtschaftlich gesehen |46| eine Problemlösung. Denn der Nachfrageboom nach Gesundheits- und Pflegeleistungen wiegt die Konsumschwäche auf, die der alternden Gesellschaft ansonsten nachgesagt beziehungsweise unterstellt wird.
    Dass in ihr der individuelle und kollektive Konsum der älteren Leute steigt, liegt nicht nur daran, dass ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung steigt. Es liegt auch und in erster Linie an der innovativen Kraft der Altersökonomie, die sich immer neue Angebote einfallen lässt: von altersgemäß komponierten Seniorenmahlzeiten, die es übrigens auch für den alternden Hund und die alternde Katze gibt, über die Ernährungs- und diätetische Beratung bis hin zur automatisierten und informationstechnologisch durchgeplanten Altenwohnung, die sensorisch und bewegungsbehinderten Menschen größtmögliche Selbstständigkeit und Vernetzung mit Familien, Freunden, Ärzten, Lieferanten und so weiter sichert.
    Ein Symbol für diese Nachfrage, die von einem unbändigen Überlebenswillen angetrieben wird und auf Innovationen ausgerichtet ist, die auch grundlegende soziale Funktionen wie das Sprechen zu einem technologisch konstruierbaren und ökonomisch verwertbaren Faktor macht, ist der geniale Physiker Stephen Hawking; in der Symbiose seiner Person mit seinem Rollstuhl und Sprachcomputer macht er vor, wie eine Lähmung, sei sie krankheits- oder altersbedingt, zu einer im Prinzip auch ökonomisch begründeten technologischen Innovation führen kann.
    Was heute als innovative Überlebensstrategie eines Einzelnen entwickelt wird, kann morgen von vielen älteren und behinderten Menschen nachgefragt werden. Und nicht nur von ihnen. Es ist wie mit den Produkten und Nebenprodukten der Raumfahrtindustrie. Sie sind, oft mit geringen Kosten der Weiterentwicklung, für viele Bedürfnisse vieler Gruppen einsetzbar und schaffen sich so, unabhängig vom Alter der Bevölkerung und der Geburtenziffer, eine Nachfrage, die es vorher nicht gegeben hat. Auch bei sinkender Geburten- und Bevölkerungszahl kann auf diese Weise der individuelle |47| und kollektive Bedarf an Gütern und Dienstleistungen erheblich steigen. Bereits das Ungeborene und der Säugling treten als Nachfrager auf – nach hochqualifizierten Gütern, die es früher gar nicht gegeben hat: Kurse für werdende Mütter und Väter, psychologische und soziologische Präparationen von Elternschaft, pränatal geschlechtsbestimmende Ultraschallbilder, genetisches Screening,

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