Weniger sind mehr
stellt sich da erst gar nicht.
Dabei böte gerade die Schwarzarbeit, deren Umfang weithin beklagt wird, Anlass, darüber nachzudenken. Die Bedingungen der Umwandlung von Arbeitsbeziehungen in Familienbindungen stehen umso günstiger, je teurer und bürokratisierter offizielle Arbeit ist und je größer der Anreiz, auszuweichen auf illegale Arbeit, die an sich schon ein gegenseitiges Vertrauen voraussetzt und fördert; je länger das Arbeitsverhältnis dauert; je ausschließlicher es sich auf nur eine Familie bezieht und in deren Wohnung stattfindet (keine Putzstelle unter vielen anderen); je besser man sich riechen und ausstehen kann; je größer das gegenseitig gewachsene Vertrauen und Verständnis; je weniger der/die Arbeitende an eine eigene Familie gebunden ist ...
Allerdings: Die Arbeit wird mit Geld bezahlt. Jedoch steht der finanzielle Charakter der Familialisierung der Beziehungen kaum entgegen, werden doch auch leibliche Familienangehörige – nicht nur in der traditionellen Hausfrauenehe – finanziell unterhalten und unterstützt.
Das Verschwinden von Familien und die Stärkung der Familie
Bei allen Mechanismen und Strategien, mit denen die einzelnen Familien sich dagegen wehren, dass sie zu stark schrumpfen und schließlich ihre zentrale Funktion der liebevollen Zuwendung nicht mehr erfüllen können: Es kann doch nicht ausbleiben, dass Menschen keine Nachkommen mehr haben. Es stirbt dann ein Zweig ihrer Familie mit ihnen aus. Waren sie selbst schon Einzelkinder, stirbt ihre elterliche Familie mit ihnen. Waren die Eltern bereits Einzelkinder, sterben die großelterlichen Familien aus. Und so fort: Je weiter die Familien im Rückblick nur auf Einzelkinder gebaut sind, desto mehr Familienzweige oder Kleinstfamilien |155| verlöschen, wenn das letzte Einzelkind selbst kein Kind mehr bekommt. Mit dem Anstieg der Einzelkinder steigt also auch das Risiko, dass immer mehr einzelne Familien aufhören zu existieren.
Diese Risikoleiter ist allerdings eine hypothetische Konstruktion. Empirisch liegen die Dinge anders. Obwohl eine Fertilitätsrate von 1,4 Kindern pro Frau zu der Vermutung einlädt, die Gesellschaft pflanze sich nur noch durch Einzelkinder, also mit hohem familialen Aussterberisiko fort, ist dies faktisch nicht der Fall. Die Durchschnittszahl von einem Kind pro Paar oder Frau kommt nämlich dadurch zustande, dass mehr Frauen als bisher gar keine Kinder gebären, dass weniger Frauen drei und mehr Kinder und die meisten Paare beziehungsweise Frauen wie bisher zwei Kinder bekommen. Die moderne Gesellschaft und »ihre« Familie pflanzt sich also vorwiegend über die Zwei-Kinder-Familie fort. Mit anderen Worten: die Zwei-Kinder-Familie ist – und bleibt vermutlich – das dominante Muster, während größere und kleinere Familien seltener werden. Das Familiensterben vollzieht sich über die Verringerung der großen Familien und über das Anwachsen der Familien ohne Kind.
Wichtig ist, dass bei diesen quantitativen Überlegungen zwischen den einzelnen, individuellen Familien und »der« Familie oder dem Familiensystem als Summe und gedankliche Zusammenfassung der einzelnen Familien unterschieden wird. Der Fall der Geburtenrate führt dazu, dass die einzelnen Familien kleiner werden, dass aber die kleinsten Familien, nämlich die ohne Kinder, als Einzelfamilien auch aussterben. Kinderlose Familien werden zugleich mehr und sterben aus. Sie können sich nicht aus sich selbst heraus vermehren.
Die Verkleinerung der Einzelfamilien zeigt sich allerdings statistisch nur, wenn man von vornherein Familien statistisch definiert als Paare oder Alleinerziehende mit mindestens einem Kind. Die verschiedenen Vergrößerungs- und Zuwahlstrategien der Familien, die im Vorangegangenen erörtert wurden, führen |156| allerdings dazu, dass wir als einzelne Personen unsere gefühlte Familie als größer definieren. Soziologische, reale Familien sind also in der Regel größer als statistisch definierte Familien.
Betrachtet man nun die Summe der Familien als das System der Familie oder als »die« Familie der Gesellschaft, dann unterliegt sie bei etwa gleicher Bevölkerungszahl zwei entgegengesetzten Tendenzen der Veränderung. Einerseits bewirkt die Verkleinerung der statistischen Einzelfamilien, dass »die« Familie sich nun in mehrere Einheiten beziehungsweise Einzelfamilien untergliedert. Andererseits wirkt das Aussterben von Einzelfamilien beziehungsweise Familienzweigen in die entgegengesetzte Richtung. Erst recht
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