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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ich nur: »Nichts
ist los. Mach dir ein schönes Wochenende, und wir sehen uns Montag, elf Uhr siebenundfünfzig.«
     
    »Renshaw und Kessel
International«, sagte eine Stimme mit ausgeprägtem Akzent.
    »Hy Ripinsky, bitte.«
    »Tut mir leid, Mr. Ripinsky ist
unterwegs.«
    »Wissen Sie, wo er sich
aufhält?«
    »Zu dieser Information habe ich
keinen Zugang.«
    »Kann ich bitte den
Niederlassungsleiter sprechen?«
    »Mr. Rivera ist mit Mr.
Ripinsky unterwegs.«
    »Und Sie können ihn nicht
erreichen?«
    »Er wird sich telefonisch
melden.«
    »Ist sonst jemand im Büro, der
mir weiterhelfen kann?«
    »Nein, tut mir leid.«
    Ein kleines Büro vermutlich,
wie die meisten RKI-Auslandsfilialen. Klein und nicht sonderlich gut geführt.
Ich bat den Mann, Hy auszurichten, er solle mich jederzeit anrufen, es sei
wichtig. Zu viele Tage waren vergangen; ich brauchte den Klang seiner Stimme.
Brauchte die Möglichkeit, ihm von dieser Frau zu erzählen, die mir rapide meine
Identität stahl. Brauchte...
     
    »Tja, du hattest recht; mit
diesem Klienten ist eindeutig was faul.« Keim war gerade von ihrem
Frühstückstermin mit Jeffrey Stoddard zurückgekehrt.
    »Ahnst du schon, was?«
    »Vielleicht. Und ich habe auch
eine ziemlich gute Idee, wie es sich überprüfen läßt.«
    »Dann verfolg das weiter.«
    Sie runzelte die Stirn. »Willst
du gar nicht wissen, was es ist?«
    »Nein. Ich vertraue auf dein
Urteilsvermögen. Mach einfach.«
    »Alles okay mit dir, Shar?«
    Wenn ich mich Mick nicht
anvertrauen wollte, konnte ich auch Keim nichts sagen; die beiden standen sich
zu nah, um irgendwelche Geheimnisse voreinander zu bewahren. »Klar«, sagte ich.
»Wieso nicht?«
    »Du scheinst mir heute nicht
ganz du selbst. Genau wie Ted.«
    »Was ist mit Ted?«
    »Er hat mich heute morgen
regelrecht aus dem Lagerraum geschmissen. Ich wollte ihm nur die Mühe ersparen,
ein paar Kopien für mich zu machen, und er ist hochgegangen wie eine
Ölfontäne.«
     
    Ich wartete, bis Ted in die
Mittagspause gegangen war, und betrat dann den Lagerraum hinter seinem Büro.
Dort drin war es still, bis auf das Brummen des alten Xerox-Kopierers, der bald
durch den neuen Sharp ersetzt werden würde. Der kleine Raum wirkte fast schon pathologisch
ordentlich.
    Also, was konnte sich hier
befinden, was Charlotte nicht hatte sehen sollen?
    Ich stand mitten im Raum und
musterte die Regalfächer. Jede Packung Bleistifte oder Büroklammern, jede
Laxpapier- und jede Tesafilmrolle, jeder Stapel Briefpapier oder Umschläge lag
säuberlich ausgerichtet am dafür vorgesehenen Platz. Hatte Ted hier zwanghaft
aufgeräumt, um die Dämonen zu verscheuchen, die ihm zusetzten?
    Ich ging wieder hinaus und den
Steg entlang zu dem Büro, das Charlotte und Rae teilten. Sie saßen an ihren
Schreibtischen, aßen Mitnahmegerichte und schwatzten. »Charlotte«, sagte ich,
»als Ted dich aus dem Lagerraum geworfen hat, kam er da erst nach dir rein oder
war er schon drin?«
    »War schon drin.«
    »Und was hat er gemacht?«
    Sie schürzte die Lippen, dachte
nach. »Irgendwas mit einem Karton Versandtaschen — DINA5.«
    »Danke.« Ich ging wieder in den
Lagerraum und fand den Karton. Die Versandtaschen lagen etwas schräg. Ich fuhr
mit der Hand zwischen Stapel und Kartonwand, bis ich die Stelle hatte, wo die
Versandtaschen wieder gerade lagen, nahm den darüber befindlichen Stoß heraus
und guckte in die unterste Versandtasche.
    Bargeld. Ein hübsches Sümmchen.
Zehner und Zwanziger. Ich zählte nach. Über vierhundert Dollar.
    Als diejenige, die die Hälfte
von Teds Gehalt zahlte, wußte ich, daß das für ihn ganz schön viel war, um es
mit sich herumzutragen, geschweige denn, an einem nicht gerade sicheren Ort zu
verstecken. Und es war auch eine Summe, die er nicht so ohne weiteres ausgeben
würde.
    Aber warum lag das Geld dann
hier — und was hatte er damit vor?
     
    »Shari?«
    Die Stimme in der Leitung
gehörte meinem Vater, aber ich hätte sie nicht erkannt, hätte sie mich nicht
bei dem Kosenamen genannt, den sonst niemand benutzte. Er klang älter als
achtundsechzig und unsicher. Ich spürte einen kalten Schauer zwischen den
Schulterblättern: jemandem von uns ist etwas Schreckliches zugestoßen, und
wir werden nie wieder die Familie sein, die wir waren.
    »Pa? Was ist passiert?«
    »Hier ist gar nichts passiert.
Aber um Himmels willen, was ist mit dir?«
    »Ich verstehe gar nichts.«
    »Da kam ein Anruf. Vor zwanzig
Minuten. Eine Frau, die sagte, sie sei Krankenschwester im

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