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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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mich auf und ging weiter. Ich musterte die Türen der kleinen
Geschäfte, die auf die schmale Gasse hinausgingen. Sutton-Patentfalltüren,
Liberty-Installationsservice, Fotoatelier Nell Loomis. Ich kannte Nell Loomis;
sie hatte mir in einem früheren Fall entscheidende Beweise geliefert. Alle
möglichen Existenzen in diesen billigen Fadenräumen, aber zu wem war Ted
gegangen?
    Schließlich quetschte ich mich
auf halber Höhe der Alley zwischen einen geparkten Van und die Hauswand und
wartete.
    Zehn Minuten, fünfzehn. Der
Nebel wurde noch dichter, und an der Ecke Seventh Street begann jemand, in den
Mülltonnen zu stöbern.
    Neunzehn Minuten, zwanzig.
    Etwa fünf Meter weiter, auf der
anderen Seite der Alley, ging eine Tür auf. Licht fiel auf den Asphalt, und ich
hörte das undeutliche Gemurmel von Männerstimmen. Dann schloß sich die Tür
wieder, und Schritte kamen in meine Richtung.
    Ich zwängte mich ein Stückchen
rückwärts, bis ich durch die Seitenscheiben des Van gucken konnte.
    Ted, mit gesenktem Kopf, in der
Hand ein Päckchen. Er ging in etwa einem Meter Abstand an mir vorbei, in
Richtung Sixth. Ich ging ihm nicht nach; wichtiger war es, herauszufinden, wen
er aufgesucht hatte.
    Als er verschwunden war, trat
ich hinter dem Van hervor und ging zu der Tür, aus der er gekommen war. Kein
Namensschild, keinerlei Hinweis, wer hier wohnte oder arbeitete. Die
handgemalte Nummer über dem Klingelknopf war im Dunkeln nicht zu entziffern.
Ich nahm meine Taschenlampe heraus und leuchtete sie an. Dann ging ich zu Nell
Loomis’ Fotoatelier und klingelte. Sie war oft noch zu den seltsamsten Zeiten
hier, vor allem, wenn sie an einem Eilauftrag arbeitete. Heute allerdings
nicht.
    Mülltonnen standen an den
Hauswänden aufgereiht. Ich musterte sie, fand eine mit einer aufgesprayten
Nummer, der gleichen wie an der Tür, aus der Ted gekommen war. Als ich den
Deckel anhob, stieg mir ein gräßlicher Gestank entgegen. Oh, verdammt, dachte
ich, das ist die Strafe dafür, daß du Mick auf den Müll von diesem Kerl
angesetzt hast!
    Doch dann griff ich, mit der
ganzen Routine der altgedienten Vermögenshinterziehungs-Ermittlerin, in die
Tonne und hievte den Müllsack heraus.
    Als ich zu meinem MG zurückkam,
lehnte der Zuhälter noch immer am Wagen. Er lächelte, machte einen Kratzfuß und
geleitete mich zur Fahrertür, als wäre ich Aschenputtel beim Besteigen der
Kutsche, die es zum Ball bringen soll — ein schmuddeliges, erschöpftes
Aschenputtel, das einen stinkenden Müllsack umklammerte. Die gute Fee hatte an
mir ziemlichen Pfusch geleistet.
     
    Ich stand gerade an einer roten
Ampel an der Duboce Avenue, unter dem Central Freeway, als mein Handy piepte.
Ich nahm es und klappte es begierig auf, weil ich dachte, es sei vielleicht Hy.
Normalerweise würde er zwar nicht aus Südamerika unter meiner Handynummer
anrufen und mir damit eine Riesentelefonrechnung aufbürden, aber wir hatten
schon so lange nichts mehr voneinander gehört...
    »Sharon?« Die Anruferin
flüsterte.
    »Ja, wer ist da?«
    »Rae.«
    »Rae?« Sofort war ich wieder
angespannt wie eine Stahlfeder.
    »Ich bin in Schwierigkeiten.
Ich brauche deine Hilfe.«
    »Wo bist du?«
    »Vintage Lofts, an der Beale
Street. Bitte komm sofort.«
    Vintage Lofts war der Name
eines leerstehenden alten Lagerhauses, das derzeit gerade zu Wohn- und Arbeitsraumeinheiten
umgebaut wurde.
    »Sharon?«
    Die Ampel sprang um. Ich bog
rechts ab, steuerte wieder zurück nach SoMa. »Ich bin hier. Erzähl mir, was los
ist.«
    »Kann nicht reden. Komm
schnell!« Die Verbindung brach ab.
    Es war eine weibliche
Flüsterstimme gewesen, aber ich hatte gleich gewußt, daß das nicht Rae war.
Ihre Stimme hätte ich erkannt, und außerdem war sie übers Wochenende mit Ricky
in dessen Aufnahmestudio in der Wüste von Arizona. Ärgerlich klappte ich das
Handy zu. Für wie blöd hielt mich diese Frau? Glaubte sie wirklich, ich würde
auf so einen billigen Trick reinfallen?
    Mein Ärger verhärtete sich zu
Entschlossenheit. Heute nacht würde ich die Sache ein für allemal regeln.
     
    Das alte Lagerhaus war nur ein
paar Blocks von Pier 241 entfernt. Also ließ ich das Auto dort am Bordstein
stehen und ging rasch zu Fuß weiter, wobei ich darauf achtete, mich im
Schattendunkel zu halten. Die meisten Gebäude in dieser Gegend wurden entweder
noch immer gewerblich genutzt oder gerade zu Wohnzwecken ausgebaut; um diese
Zeit waren die Straßen leer, und das einzige Geräusch war das Grollen

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