Wenn alle anderen schlafen
»Ich frage deshalb, weil sich zwei Bekannte von mir
Lofts gekauft haben in einem Gebäude, das ihrer Beschreibung nach dieses hier
sein könnte. Sie haben sich sehr lobend über die Verwaltungsfirma und die ihnen
empfohlenen Handwerker geäußert.«
»Wenn Sie mir die Namen nennen,
kann ich mal nachsehen.«
»Eine gewisse Sharon McCone.
Und eine... Sue Macmillan.«
Er trat an den Tisch und schlug
ein dort liegendes Ring-Notizbuch auf. »Nein, von denen hat hier keine
Wohneigentum erworben.«
»Ich bin mir fast sicher, daß
Sue sich hier eingekauft hat. Ich werde sie Ihnen beschreiben: honigblond, etwa
meine Größe und mein Gewicht, und ich glaube, man kann sagen, sie ist ziemlich
hübsch.«
»Sagt mir nichts.« Er wandte
sich an die anderen Verkäufer und sagte: »Hat einer von euch mit so einer Frau
zu tun gehabt?«
Der eine schüttelte den Kopf.
Der andere sagte: »Wenn, hätte ich sie gefragt, ob sie mit mir ausgeht.«
Ich fragte: »Sind Sie hier die
einzigen Verkäufer?«
»Sind wir. Und wir beantworten
Ihnen jederzeit gern alle weiteren Fragen.«
Alle, außer der einzig
wichtigen: Wie war diese Frau in das Gebäude gelangt? Auf demselben Weg wie ich
oder...?
Es war erst eins, aber bevor
ich bei den Vintage Lofts gewesen war, hatte ich — vergeblich — den in der
Gasse erbeuteten Müll durchsucht, RKI beauftragt, mein Haus und meine
Firmenräume auf Wanzen zu überprüfen, die Änderung meines Handy-Codes
beantragt, die Warenpakete zwecks Rücksendung zur Post gebracht, bei Nell
Loomis’ Fotoatelier vorbeigeschaut und sie wieder nicht angetroffen und
schließlich den MG zur Inspektion gebracht. Er würde nicht vor drei fertig
sein, also beschloß ich, zu Fuß zum Pier zu gehen, um noch etwas Papierkram
aufzuarbeiten — oder vielleicht auch einfach nur dazusitzen und nachzudenken.
Zu meinem Erstaunen sah ich
Micks neues Motorrad am Fuß unserer Treppe stehen. Die schnittige schwarze
Yamaha war eine Art Selbständigkeitssymbol, da Charlene und Ricky sich
hartnäckig geweigert hatten, ihm eine solche Maschine zum High-School-Abschluß
zu schenken, und Mick liebte sie fast so sehr wie sein Power-Book. Meine
Schwester war immer noch beunruhigt ob dieser Anschaffung — für die sie
irgendwie mich verantwortlich machte, wohl weil ich ihren Sohn so gut bezahlte,
daß er sich so etwas leisten konnte — , aber Ricky war, nachdem Mick die
einschlägigen Sicherheitstrainings absolviert hatte, immerhin so weit gegangen
zuzugeben, daß es ein gutes Transportmittel war. Und ich hatte von diesem Kauf
profitiert, da die Aussicht, das kurze Embarcaderostück zwischen seinem
Mietapartment und dem Piergebäude per Motorrad zurückzulegen, Mick zu meinem
pünktlichsten Angestellten gemacht hatte.
Als ich an seine Bürotür
klopfte, rief mein Neffe: »Freund oder Feind?«, ohne den Blick von seinem
Computerbildschirm zu wenden.
»Kommt ganz drauf an, wie du
dazu stehst, am Samstag noch einen Extraauftrag zu übernehmen.«
»Oh, verflixt, ich dachte, es
wäre Sweet Charlotte.«
»Nein, ich bin’s nur — in der
Absicht, dein Leben zu komplizieren. Woran bist du gerade — an der
Vermögenshinterziehung?«
»Ja, ist aber so gut wie
abgeschlossen. Montag essen wir im Boondocks.«
»Prima. Ich liebe die
Steak-Sandwichs dort. Wir sollten Charlotte auch mitnehmen. Apropos, wo steckt
sie denn, während du hier schuftest?«
»Auf der Spur eines Klienten,
mit dem irgendwas faul ist.«
»Jeffrey Stoddard. Hat sie dir
gesagt, was mit ihm ist?«
»Nein.« Mick drehte sich zu
mir. Sein Gesicht war ernst und ein bißchen verblüfft. »Weißt du, als ich bei
dir angefangen habe, dachte ich, dieses Busineß sei unheimlich schick und cool,
aber erst jetzt geht mir langsam auf, wie... süchtig es macht. Ich meine,
Lottie und ich, wir könnten jetzt schön kuschlig im Bett liegen und miese
Samstagnachmittag-Horrorfilme im Fernsehen gucken und Popcorn mümmeln. Aber
statt dessen verderbe ich mir die Augen in diesem stickigen Büro, und sie ist
weiß Gott wo draußen im Regen.«
»Und ihr seid beide glücklich
dabei.«
»Du doch auch, sonst wärst du
nicht hier.«
»Na ja, Hy ist nicht da, also
entfällt das kuschlige Bettliegen. Willst du mir erzählen, was du gefunden
hast?« Ich zeigte auf den Computer.
»Belege über Gelder auf einem
Steuerfluchtkonto auf den Cayman Islands — das auf den Namen seiner Freundin
läuft. Und eine Anzahlung für eine Eigentumswohnung am Seven Mile Beach auf
Grand Cayman — ebenfalls
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