Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
der Mitte — der in den Werbeanzeigen so vielgepriesene
»Dachgarten«. Eine Stufe tiefer lag das Bitumendach selbst, aber das
Fahrstuhlhäuschen versperrte mir den Blick.
    Sie war irgendwo dort unten.
Ich würde warten, notfalls bis zum Morgengrauen. Irgendwann mußte sie sich ja
zeigen — »Na, wie bin ich, McCone?«
    Die Stimme kam von hinter dem
Fahrstuhlhäuschen, laut und herrisch.
    Ich zog mich ins Treppenhaus
zurück.
    »Ich bin gut, was? So gut wie
Sie. Sogar besser.«
    Über ihre normale Sprechstimme
konnte ich nichts sagen; sie war durch das Schreien zu sehr verzerrt.
    »Viel besser!«
    Ein Schauer lief mir über den
Rücken. Sobald ich diese Worte hörte, begriff ich.
    Sie hatte genau gewußt, daß ich
sie nicht für Rae halten würde. Und daß ich trotzdem kommen würde. Irgendwie
durchschaute sie so genau, wie ich tickte, daß sie meine Reaktion exakt
Vorhersagen konnte..
    Na ja, ich war immer noch im
Vorteil. Ich stand an der Tür zur Treppe, mit einer Waffe. Und ich hatte den
Aufzug außer Betrieb gesetzt.
    Ich stieß die Tür weiter auf
und rief: »Okay! Sie haben mich hierhergelotst. Also tragen wir’s aus — jetzt!«
    Belustigtes Lachen.
    »Der Fahrstuhl funktioniert
nicht. Es gibt keinen anderen Weg vom Dach als durch diese Tür hier, und ich
werde warten.« Schweigen.
    »Sie haben keine Chance. Kommen
Sie raus.«
    Keine Reaktion.
    Dann hörte ich ein Geräusch von
der entfernten Dachseite her. Erneutes Lachen, als hätte ich einen guten Witz
gemacht — aber von weiter unten jetzt. Ich zwängte mich durch die Tür, drückte
mich das Lifthäuschen entlang. Dahinter führte eine Rampe auf eine Ebene
zwischen Dach und drittem Stock. Und dort unten schwang gerade eine Tür zu.
    Verdammt, ich war ihr voll auf
den Leim gegangen! Sie hatte mich wie an einer Leine durch dieses ganze Gebäude
geführt. Diese Frau war um einiges gerissener, als ich ihr zugetraut hatte.
    Also versetz dich in sie rein,
McCone. Was hat sie jetzt vor?
    Zur anderen Treppe laufen und
dir in den Rücken fallen?
    Nein, sie will keine direkte
Konfrontation — jedenfalls noch nicht.
    Einfach verschwinden, weil sie
für heute nacht ihren Spaß gehabt hat?
    Nein, das auch nicht...
    »O Gott!«
    Ich rannte die Treppe hinunter,
nahm immer zwei Stufen auf einmal. Die Alarmanlage schrillte los, als ich den
Treppenabsatz im zweiten Stock erreicht hatte. Keuchend und mit hämmerndem Herzen
kam ich genau in dem Moment unten an, als die Vordertür zufiel. Ich schlidderte
um den Treppenpfosten, riß die Kammertür auf und legte die
Alarmanlagensicherung lahm. Sofort hörte der ohrenbetäubende Lärm auf.
    Aber ich hatte selbst in der
Sicherheitsbranche gearbeitet; es würde nicht lange dauern, bis die Firma, die
dieses Gebäude überwachte, anrücken würde, um dem vermeintlichen Fehlalarm
vorsichtshalber doch nachzugehen. Ich flitzte durch die Garage, glitt unterm
Tor hindurch und rannte durch die Gasse zur Main Street.
     
    Bei meinem Wagen angekommen,
fand ich unterm Scheibenwischer ein Blatt von einem gelben Notizblock. Darauf
stand in Blockbuchstaben ein einziger Satz:
     
    IMMER NOCH SO EINGEBILDET?
     
    Während alle anderen schlafen,
tigere ich ruhelos durch mein Haus. Ins vordere Zimmer, ins Wohnzimmer, in die
Küche und wieder zurück. Es ist still im Haus, zu still. Die Katzen sind wach,
mißtrauisch, weil sie meine Anspannung spüren. Ich habe seit fast einer Woche
nicht mehr mit Hy geredet, und ich fühle, wie die Verbindung zwischen uns von
Rauschen überlagert wird — emotionale Störgeräusche, von seiner Seite wie von meiner.
    Diese Frau konnte sich sogar
denken, wo ich meinen Wagen abstellen würde. Sie ist schlau, sehr schlau. Sie
hat meine inneren Prozesse angezapft, kennt meine Reaktionen, meine Stärken,
meine Schwächen. Sie war hier in meinem Haus und vielleicht auch in meinem Büro
an der Pier. Ich muß hier wie dort alles auf Wanzen absuchen lassen. Ich muß
den Code der Alarmanlage hier ändern lassen und den meines Handys. Ich habe
schon eine Unmenge Zeit darauf verwandt, meine Kreditkarten sperren zu lassen
und neue zu beantragen. Und dann noch diese ganzen Warensendungen...
    Herrgott, das hat mir gerade
noch gefehlt! Mein Leben ist total durcheinander. Ich werde meiner Identität
beraubt.
    Identität. Was ist das
überhaupt? Ein Name? Äußere Merkmale? Eine Adresse, eine Telefonnummer, all die
anderen Zahlencodes, die es uns erst erlauben, in dieser Gesellschaft zu
funktionieren? Ein bestimmter Beruf? Eine

Weitere Kostenlose Bücher