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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Das Farbschema war mir gleich bekannt vorgekommen.
Jetzt griff ich in mein Täschchen, um die Schließkarte herauszuholen, die ich
unter Lee D’Silvas Büro-Hinterlassenschaften gefunden hatte.
    Ja, es waren dieselben Farben.
    Eine Limousine hielt vor dem
Club, und eine Gruppe von sechs Personen stieg aus, vom Chauffeur beidhändig
beschirmt. Der schwarzgekleidete Türsteher ließ die sechs ein und wartete dann
noch auf ein Paar, das gerade gehen wollte. Spät für einen Werktagabend, aber —
    Eine Frau kam rasch den
gegenüberliegenden Bürgersteig entlang, den Kopf wegen des Regens gesenkt. Ihr
Schritt war ein Stöckelstaccato. Sie eilte auf die Tür des Clubs zu.
Honigblondes Haar hing ihr ins Gesicht, verbarg ihre Züge. Ihre Stola über dem
langen, dunklen Kleid war petrolfarben.
    Der Türsteher schien sie zu
kennen und hielt ihr die Tür auf.
    Ich überquerte die Straße.
    Der Türsteher war groß und
muskulös — ein wahres Kraftpaket mit Totalglatze, dazu aber einem seltsam
jungenhaften Gesicht. Er musterte mich mit Augen, die alles gesehen und sich
über gar nichts gewundert hatten, und schien auf irgendeine Aktivität meinerseits
zu warten. Einem spontanen Impuls folgend, zog ich D’Silvas Schließkarte heraus
und zeigte sie ihm.
    Er nickte und hielt mir die Tür
auf.
    Privatclub? Nein, laut Mick
nicht. Vielleicht war die Karte ja ein Mittel, die Stammgäste — die, die an den
wie auch immer gearteten illegalen Aktivitäten teilhatten — von den
Uneingeweihten zu scheiden.
    Ich trat in einen kleinen
Vorraum, der so dunkel war, daß ich mich, als sich die Tür hinter mir schloß,
von einem schwarzen Loch verschluckt fühlte. Dann sah ich Farben durch ein
Ritzenrechteck schimmern. Ich streckte die Hand aus, fühlte Samt, schob ihn
beiseite.
    Der Raum vor mir war dunkel,
bis auf Leuchtstrahlen, -wirbel und -flecken in den bewußten Kennfarben. Manche
kamen von Spotlights, andere von metallic-glitzernden Substanzen, die in die
schwarzen Plexiglasmöbel eingebettet waren, wieder andere von
Neonröhrengebilden an Wänden, Decke und Fußleisten. Es war ein typisches
Cocktaillounge-Arrangement, mit einer Jazzcombo am anderen Ende, umhüllt von
rauchigem Dunst.
    Ich ging auf die Bar zu, wobei
ich sorgsam die Gäste studierte. Die meisten waren dunkel gekleidet, so daß die
Spots die Gesichter und bloßen Hautpartien hervorhoben. Die Frauen hatten jenes
anorektische Etwas, das die Medien »Junkie-Look« nennen, und die meisten Männer
wirkten mürrisch und gelangweilt. Die Gruppe aus der Limousine saß in einer
geräumigen Sitznische. Ich erkannte einen Filmschauspieler und einen
prominenten Schriftsteller. Aber D’Silva entdeckte ich nirgends.
    Ich setzte mich auf einen
Hocker am Ende der Bar und orderte ein Glas Chardonnay. Als der
schwarzgekleidete Barkeeper es vor mich hinstellte, legte ich die Schließkarte
auf die Theke, und er zog sie durch ein Kartenlesegerät. Über dem Thekenniveau
standen weder Flaschen noch Gläser — nichts, was den Effekt des leuchtenden
Farbenspiels hätte beeinträchtigen können. Die Spiegelwand hinter der Bar sah
aus wie ein riesiges Spinnennetz vor einem Mitternachtshimmel; die Fäden
schillerten und verschoben sich, verzerrten die Wahrnehmung, betäubten und
erregten die Sinne in stetem Wechsel. Ich sah durch das Glühfadengespinst auf
das Spiegelbild des Raums hinter mir und ging noch einmal die Gäste durch.
Keine Lee D’Silva.
    Nach einer Weile stand der
Schauspieler auf und ging zu einem samtverhangenen Durchgang in der hinteren
Wand, anscheinend, um die Toilette aufzusuchen. Nach fünf Minuten war er immer
noch nicht wieder da, und seine Begleiter folgten ihm nach und nach. Ein
Hinterausgang? Nein, sie wären doch wohl zusammen gegangen.
    Schließlich stand ich auf,
legte ein Trinkgeld auf die Bar und ging hinter ihnen her.
    Ein Gang, zu hell beleuchtet
nach dem dunklen Raum. Türen, mit den Aufschriften Herren, damen und personal. Und noch eine, ganz am Ende. Ich ging darauf zu, sah das Kästchen mit dem
glimmenden roten Licht unter dem Türknauf — die Art Sicherheitsschloß, die man
an vielen Hotelzimmertüren findet. Ich zog die Karte aus der Tasche und steckte
sie hinein; das rote Licht erlosch, und statt dessen glomm ein grünes auf. Ich
zog mich an die Wand zurück und überlegte.
    Ein Privatraum. Lee D’Silva
konnte dort drinnen sein. Wenn ich einfach hineinplatzte, würde sie fliehen,
und ich würde sie womöglich nie wieder aufspüren können. Aber wenn

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